Sonntag, 17. Oktober 2010
Nach dem Aufwachen auf dem – wie es ein smarter Makler sehr treffend ausdrücken würde – äußerst verkehrsgünstig gelegenen Wohnmobil-Stellplatz besichtigten wir (nur eine obligatorische Katzenwäsche und ein wie üblich ambulant eingenommenes Frühstück später) den Oberhausener Gasometer. Als in der Tat sehr eindrucksvoll erwies sich das Innere des gigantischen Hohlkörpers, insbesondere aber auch die aktuelle Ausstellung »Sternstunden – Wunder des Sonnensystems«, die noch bis zum Ende des laufenden Jahres bewundert werden kann. Die übergroßen Fotos, die ausladenden Planetenmodelle und insbesondere das nachgerade riesige Mondmodell lohnen einen Abstecher in die dicke Röhre allemal!
Aus den Tiefen des Alls resp. des ehemaligen Gasbehälters wieder ans Tageslicht zurückgekehrt, machten wir interessehalber einen Rundgang durch das nahegelegene CentrO, dem laut Eigenwerbung »größten Shopping- und Freizeitzentrum Europas«. Na ja, es gibt dort wie hier und überall sonst im Wesentlichen die gleichen Kettenläden, eine Freßrotunde einen Food Court und die heutzutage übliche Shopping-Center-Architektur. Der zonebattler ließ sich letztlich von der allgemeinen Konsum-Stimmung um ihn herum anstecken und zückte verzückt seine Geldbörse... [1]
Über dem Kaufrausch war es Nachmittag geworden, darum galt es, hurtig auf die Autobahn zu flitzen und sich vom sanft säuselnden Handy in die quirlige Innenstadt Düsseldorfs lotsen zu lassen. In der dortigen Kunstsammlung NRW (K20 am Grabbeplatz) trafen wir uns zunächst mit einem uns bis dato nur virtuell bekannten Blogger-Kollegen zu einem höchst anregenden Plausch. Dann meeteten & greeteten wir noch eine liebe (Fast-)Nachbarin aus Fürth, welchselbe in wackerer, geduldig ertragener Pendler-Existenz in jenem berühmten Kunst-Tempel ihr werktägliches Ein- und Auskommen findet...
Indes waren wir ja nicht nur zum Schäkern und sich Beschnuppern nach Düsseldorf gekommen, nein, es wartete am Abend ein respektabler Kunstmarathon auf uns in Form der vielen zeitgleich stattfindenden Vernissagen zur Quadriennale 2010! Wir guckten und schoben uns bis spät in die milde Nacht durch die frisch eröffneten Ausstellungen »Joseph Beuys. Parallelprozesse« (K20), »Nam June Paik« (museum kunst palast) und »Der Rote Bulli. Stephen Shore und die Neue Düsseldorfer Fotografie« (NRW-Forum), bis wir dann endlich ermattet quer durch die Stadt (erneut vom Handy sicher geleitet) in Richtung Ausstellung Nr. 4 (K21 Ständehaus) tappten, woselbst die ebenso abseits wie kostenfrei geparkte Renngurke unserer harrte. Schön war die Kunst, schön war die Nacht, schön zeigte sich auch die bunt illuminierte Skyline des Dorfes an der Düssel:
Erst nach Mitternacht liefen wir wieder in Oberhausen ein, wo wir direkt am Fuße des Gasometers eine Wagenburg bildeten und uns zur (diesmal gebührenfreien) Ruhe niederlegten...
Am Tag Nr. 8 unserer Expedition waren wir schon lange vor der erneuten Öffnung des dicken Wahrzeichens von Oberhausen wieder wach und reisebereit. Wir tuckerten los in Richtung Essen, woselbst wir schon wieder eine Verabredung hatten: Am Rande der weltberühmten Zeche Zollverein wollten wir uns mit einem meiner fleißigen Homepage-Zuträger treffen, der uns – als Einheimischer bestens orts- und kulturkundig – die umfangreichen Einrichtungen der riesigen stillgelegten Anlage zeigen und erläutern wollte. Es wurde ein langer, lehrreicher und bunter Tag...
In seinem Hang zum Skurrilen und Bizarren fiel dem zonebattler so manches Detail auf. Unter anderem kam ihm dieser höchst eigenartige Mastschmuck vor die Linse:
Zunächst konnten wir uns keinen Reim auf jenes ebenso gelungene wie seltsame Woll-Objekt machen. Ein Blick auf den angeknüpften Beipackzettel klärte uns jedoch schnell auf: »Strickgraffiti soll den öffentlichen Raum etwas bunter machen und beschädigt nichts.« Wenn das kein Beispiel für vorbildhaft bürgerliches Engagement ist!
Nachdem wir uns am späten Nachmittag von unserem multitalentierten Führer-Freund verabschiedet hatten, fuhren wir weiter in Richtung Süden, nahmen unterwegs Betriebsstoffe für Mensch und Maschine auf und begannen mit der Suche nach einem Plätzchen für die Nacht. Dies gestaltete sich diesmal als unerwartet schwierig, es wollte sich partout kein geeigneter Ort erspähen lassen. Nach langer Odyssee – es war inzwischen schon dunkel geworden – bezogen wir endlich provisorisch Posten auf einem Besucher-Parkplatz am Nordost-Ufer des Baldeneysees.
Was sich letztlich als gute Wahl entpuppte: Im Grunde sollte man sich in Ballungsräumen ohnehin von der Idee verabschieden, einen Schlafplatz »im Grünen« ausfindig machen zu können. Mitten drin im urbanen Getümmel finden sich noch am ehesten leidlich abgelegene Ecken an Friedhöfen, Supermärkten oder Fabriken, wo sich des Nachts kaum ein Mensch hinverirrt. Und wenn doch mal einer seinen Vierbeiner Gassi führt, dann gucken beide meist diskret zu Seite. So jedenfalls unsere Erfahrung; die echten Schurken schlagen am hellllichten Tage zu...
Der neunte Tag unserer Reise war erstens ein Sonntag und machte zweitens seinem Namen wenig Ehre: Es regnete mehr oder weniger fast den ganzen Tag über. Das scherte (schor?) uns freilich wenig, denn wir hatten ohnehin ein eher inhäusiges Besichtigungsprogramm zu absolvieren. Die erste Station (die uns schon fast einen halben Tag kostete) war die oberhalb des Baldeneysees thronende Villa Hügel, die bis 1945 das repräsentative Refugium der Industriellen-Familie Krupp gewesen war:
Die in der Villa gezeigte Dauerausstellung zur Geschichte von Familie und Fabrik würdigt einerseits die großen technischen Leistungen des von der kleinen Klitsche zum Weltkonzern gewachsenen Unternehmens, dokumentiert aber auch die schicksalhafte Verstrickung mit dem NS-Regime, das ohne den »Kruppstahl« schwerlich hätte Krieg führen können...
Nach Verabfolgung dieser üppigen Dosis Zeitgeschichte machten wir uns wieder auf in Richtung Innenstadt, um die zweite Tageshälfte im Museum Folkwang zu verbringen. Danach waren wir platt bzw. voll, aber es reichte doch noch für eine schnelle Umrundung des Aalto-Theaters zu Fuß, um nach der bereits im April erfolgten Besichtigung des Wolfsburger Kulturhauses jenem Bau ein zweites Werk des finnischen Architekten vergleichshalber hinzuzugesellen. Und weil sich der Marsch an der frischen Luft als belebend erwies, haben wir dann auch noch ‑zumindest von außen – die prächtige Alte Synagoge inspiziert.
Nach so viel Essen für die Augen war die Zeit zum Essen für den Magen gekommen, welchselbiges wir wieder an den Gestaden des Baldeneysees einnahmen, an seinem nordwestlichen Zipfel unterhalb der Villa Hügel. Mit einem nächtlichen Spaziergang (es regnete mittlerweile nicht mehr) zum in der Ferne erahnten Stauwehr rundete sich der Tag: Drei Viertel der Reise ins Unbekannte konnten nunmehr als erfolgreich absolviert gelten. Zum letzten Viertel brechen wir in der nächsten Folge auf!
[1] Ausgabenrechnung: EUR 2,40 (Pizzastück) + EUR 0,40 (Klofrau) = EUR 2,80 Total
Dienstag, 18. August 2009
Wie schon im Vorjahr rückten der zonebattler und seine bessere Hälfte auch heuer wieder zu einer Campingreise [1] aus, in deren Verlauf sich ihre schier unbezahlbare Renngurke einmal mehr als Raumschiff, Basislager, Feldküche und Schlafzimmer allerbestens bewährte. Zwar fiel die zurückgelege Strecke mit insgesamt 1.400,1 km diesmal etwas kürzer aus, doch hätten wir uns die knapp zweiwöchige Expedition kaum abwechslungsreicher vorstellen können...
Im Uhrzeigersinn fuhren wir einen Rundkurs durch die Oberpfalz und den Bayerischen Wald hinunter in die Alpen, machten dabei manchen Abstecher nach Tschechien und Österreich und hangelten uns über die oberbayerischen Seen schließlich langsam wieder hinauf in die fränkische Heimat. Erneut ließ ich durch meinen kleinen GPS-Tracker am Gürtel die gesamte Reiseroute automatisch mitprotokollieren und kann sie jetzt im Nachhinein auf der Landkarte betrachten:
Die sich beim Hinein-Zoomen nahezu beliebig verfeinernde Route macht es möglich, die Tour am Bildschirm nochmals in allen Details durchzugehen: Ein feines Feature, welches wir als »Erinnerungsanker« sehr schätzen und nimmer missen mögen...
Wer sich mit minimalem Luxus, dafür aber mit dem Nötigsten ausgestattet auf Reisen in die Natur begibt, wird mit Aussichten und atmosphärischen Anmutungen belohnt, die sich im Bild nur unzureichend wiedergeben lassen. Schon der erste Sonnenuntergang »im Felde« war von ganz anderer Klasse als jene, die sich gemeinhin daheim in der steinernen Stadt beobachten lassen:
Und auch am Morgen, wenn die Blase zwickt ersten Sonnenstrahlen kitzeln, hat man einen völlig anderen Panoramablick vor sich als von der heimischen Bettstatt aus:
Freilich sei schon hier am Anfang der Berichterstattung nicht verschwiegen, daß das ambulante Vagabundenleben nicht nur aus eitel Sonnenschein besteht. Draußen in Feld und Flur lauern nämlich fiese Feinde, mit denen der gemeine Städter eher selten konfrontiert wird: Myriaden blutgieriger Schnaken und Stechmücken wollen im Wald und auf der Heide den arglosen Touristen ans Leder! [2] Während aber der Chronist auf wundersame Weise selbst kurzbehost und beteeshirted regelmäßig in Ruhe gelassen wird, muß sich seine bessere Hälfte ebenso zwangsläufig mit bis zu drei gleichzeitig übergestreiften Sockenpaaren schützen, um nicht auf das Schmerzlichste von den surrenden Sechsbeinern gepiesackt zu werden:
Nun wären ja Wollsocken an sich kein Hindernis für einen gezielt lancierten Insekten-Angriff, aber bei drei Lagen grober Wolle ist der Abstand vom Landeplatz zur Haut des Opfers dann letztlich doch größer als die Länge des typischen Schnakenstachels...
Soviel zum Auftakt dieser kleinen Serie mit lauschigen (und launischen) Impressionen aus der Sommerfrische. In den demnächst folgenden Teilen werde ich diverse Höhepunkte (und Tiefschläge) der Rundfahrt näher erörtern und wie immer nicht mit bunten Bildern geizen. Bleiben Sie dran!
[1] Grundsätzliches zu unserer bevorzugten Art des Urlaubens hatte ich hier schon einmal näher ausgeführt.
[2] Ganz nach dem Loriot’schen Motto: »Das Beste sitzt unter der Haut!«
Montag, 25. August 2008
Wieder in Frankreich angelandet, strebten wir latent heimwärts unter Anvisierung der folgenden noch zu besichtigenden oder kurz heimzusuchenden Etappenziele: Cap Blanc-Nez – Wissant – Cap Gris-Nez – Boulogne sur Mer – Le Touquet – Abbeville – Amiens – Roye – Noyon – Le Plessis-Brion – Compiègne – Pierrefonds – Soissons – Laon – Reims – Châlons-en-Champagne – L’Épine – Verdun – Metz – Idar-Oberstein – Meisenheim (Glan) – Rüsselsheim – Veitshöchheim, wobei die letztgenannten vier Stationen natürlich schon wieder in Deutschland zu verorten sind.
Als unerwartet schwierig gestalte sich tatsächlich der Versuch, den in England fast leergefahrenen Kraftstofftank des Einsatzwagens auf französischem Boden wieder vollzukriegen: Viele Tankstellen haben zwar 24 Stunden pro Tag geöffnet, arbeiten aber ohne jegliches Personal. Die automatischen Zapfsäulen wiederum mochten unsere ansonsten weltweit allerorten problemlos funktionierenden VISA-Karten nicht akzeptieren. Letztlich kamen wir nur dank der Unterstützung eines freundlichen Monsieurs zum dringend benötigten Sprit, der mit seiner Karte die Pumpe bediente und dafür von mir Bargeld in die Hand gedrückt bekam. Man recherchiere in einschlägigen Foren, in diese landestypische Finanzierungs-Falle tappten schon viele andere Touristen vor uns...
Doch weiter zu des Landes bekannteren Spezialitäten: Die Franzosen stellen vor allem weiche Käsesorten und gothische Kathedralen her, letztere in deutlich weniger Variationen, dafür von erheblich längerer Haltbarkeit. Des zonebattler’s bessere Hälfte kann ohne weiteres ein Dutzend Gotteshäuser pro Tag verdauen, er selbst allenfalls deren drei oder vier, dann läßt er die Schultern hängen und kann die Kamera nicht mehr gerade halten:
Sehr nett ist die Idee, die großen Kirchenschiffe außerhalb der Gottesdienstzeiten aus den ohnehin vorhandenen Säulenlautsprechern dezent mit angemessener Musik zu beschallen, also beispielsweise mit mittelalterlichen Messen oder Madrigalen. Gar komisch wird einem freilich zumute, wenn auf einer Seite die Boxen phasenverkehrt angeschlossen sind und sich dann statt innerer Erhebung rasch innere Mulmigkeit einstellt...
Im Norden Frankreichs sind die Erinnerungen an den »Großen Krieg« allgegenwärtig, womit sie dort freilich keineswegs die temporäre Unterwerfung durch die Deutsche Wehrmacht von 1940 bis 1944 meinen, sondern den ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918, der im kollektiven Gedächtnis der Deutschen schon recht verblaßt zu sein scheint. Das nachwirkende Trauma ist freilich verständlich, denn das apokalyptische Massensterben im weitgehend stationären Stellungskrieg fand ja überwiegend im nahen Flandern und auf französischem Boden statt. Der Norden des Landes ist denn auch übersäht mit Gedenkstätten und Soldatenfriedhöfen mit Gefallenen (aus beiden Weltkriegen).
Zweimal hat Deutschland im letzten Jahrhundert unsägliches Leid über seine Nachbarn gebracht, da gibt es nichts zu beschönigen und auch nichts zu vergessen. Den mittlerwile in Zentraleuropa herrschenden Frieden auf Dauer zu bewahren ist eine Aufgabe, die wir den elend krepierten Opfern aller Nationen schuldig sind...
Am Morgen nach der letzten Übernachtung im ehemaligen Feindesland habe ich die Kamera himmelwärts durch das Glasdach unseres mobilen Bettes blicken lassen:
So schön und mitunter sogar idyllisch das Leben auf Achse auch zeitweise ist (die Übergriffe krimineller Subjekte mal außen vor gelassen), nach gut zwei Wochen sehnt man sich nach einem richtigen Bett unter der Wirbelsäule, und auch eine funktionierende Dusche mit Einhebel-Mischbatterie ist letztlich komfortabler als so ein Plastikkanister mit tagsüber sonnenerwärmten Brauchwasser. Und dennoch: Die von uns präferierte Art des wilden Campens (bei der wir nie mehr in der Landschaft zurücklassen als Reifenspuren und organisch abbaubare Stoffwechselprodukte) ist eine sehr beglückende, da erdende und naturnahe. Mit Geiz hat das nichts zu tun, was wohl jede(r) Gleichgesinnte bestätigen wird...
Den Bogen schließen möchte ich (wie in der zweiten Folge angekündigt) mit ein paar Bemerkungen zur Reisefotografie: Wer eingermaßen ästhetische und formale Ansprüche an die Kunst des Abbildens stellt, läuft schnell nur noch mit dem »Sucherblick« durch die Gegend und verdirbt sich über Fragen der Bildgestaltung den Genuß des Augenblicks. Zudem trifft man auf Reisen häufig zu Zeiten hohen Sonnenstandes und ergo bei unvorteilhafter oder unspektakulärer Beleuchtung bei jenen Sehenswürdigkeiten ein, die (am frühen Morgen oder späten Nachmittag aufgenommen) in Bildbänden oder auf Postkarten so unerhört viel plastischer und fotogener wirken. Aus diesen Gründen lasse ich die Kamera mittlerweile oft stecken und fotografiere nur hin und wieder ein paar Details (oder mache gelegentliche Belichtungsreihen für spätere HDR-Experimente). Die rein persönliche Funktion von Reisefotos, nämlich das nachhaltige Verankern von Erinnerungen für ein späteres Wiederauflebenlassen, konnte ich inzwischen weitgehend an meinen im ersten Teil vorgestellten GPS-Tracker delegieren. Auch wenn der von Google Earth gewährte Blick aus der Vogelperspektive nicht immer ganz aktuell und nicht überall hoch aufgelöst ist: Die später fast auf den Meter genau nachvollziehbare Reiseroute erfüllt den genannten Zweck hervorragend und ermöglicht einem einfacher und besser denn je, die eigenen Expeditionen nochmals im Geiste hautnah zu erleben...
Epilog:
An einem Samstag Abend wieder in Fürth angekommen, liefen wir sofort unseren homezone-nahen Discounter an, um Frischmilch und andere Lebensmittel für den leeren Kühlschrank daheim zu bunkern. Doch was erspähte ich sogleich auf den Milchpackungen, sogar jenen der ausgewiesenen Bio-Variante? Jetzt länger haltbar ohne Geschmackseinbußen. Ja von wegen! Mein weißes Lebenselixier rangiert jetzt sensorisch irgendwo zwischen Frischmilch und H‑Milch, der »Vorteil« der längeren Haltbarkeit nutzt allein der Lagerlogistik, aber nicht dem Verbraucher. Kaum ist man mal weg, krempelt der Handel das Sortiment klammheimlich um. Ihr Schurken, ihr elenden Schufte, wenn ich Euch erwische, lasse ich euch in H‑Milch ertränken!
Sonntag, 24. August 2008
Aus der Chronologie der Reiseberichterstattung ausscherend, möchte ich heute ein paar Worte über Land und Leute meines Dreamlands verlieren: Natürlich ist auch Großbritannien nicht wirklich eine Insel der Glückseligen, es gibt dort die gleichen gesellschaftlichen Probleme wie hierzulande und womöglich noch einige mehr. Dennoch finde ich das Land in besonderem Maße liebenswert, und ein Grund dafür sind die lovely countryside views, nach denen man nie lange Ausschau halten muß:
Desweiteren sind es die eigenartigen Sitten und Gebräuche, ja zuweilen spleenig anmutenden Rituale, mit denen die Engländer ihre Lebensführung garnieren, welche uns oft faszinieren und in den Bann ziehen. Immer wieder nett anzusehen ist beispielsweise die souverän-entspannte Ernsthaftigkeit, mit der die Insulaner uns unbekannten Sportarten wie dem Bowls-Spiel mit unwuchtigen Kugeln frönen:
Die abgebildeten Herrn lassen freilich eine mir bis dato unbekannte Zügellosigkeit in dem Umstand erkennen, daß sich nicht wie eigentlich üblich in weiß gekleidet sind. Vermessen wäre es aber, wenn ich mich als Gast im Lande darüber zum Richter aufschwänge!
Ferner scheinen die Briten sämtlich ein Volk von Pflanzenfreunden und emsigen Hobbygärtnern zu sein, eine naheliegende Entwicklung bei dem schon erwähnten feucht-milden Klima. Landstraßen sind auf weiten Strecken als schattenspendende Alleen ausgeführt (welche in Deutschland die Raserlobby zu fanatisch vorgetragenen Abholzungs-Forderungen provozieren würden), und in den Städten und Gemeinden gibt es allenthalben öffentlich zugängliche Gärten, die viel Liebe zum Detail und Können im Umgang mit der Flora erkennen lassen.
Last but not least sei darauf hingewiesen, daß eine ziemlich kriegerische Historie viele sehenswerte Relikte aus vergangenen Jahrhunderten hinterlassen hat: Wer die noch sichtbaren Burgen und Schlösser, also die Castles in England, Schottland und Wales zu zählen sich anschicken wollte, hat wohl (s)eine Lebensaufgabe gefunden...
Das hier abgebildete Bodiam Castle gehört fraglos zu den schönsten Burgruinen im Land und sieht genau so aus, wie man sich als kleiner Knabe eine ordentliche Ritterburg vorstellt. Das imposante Bauwerk gehört heutzutage dem National Trust, dem ich hiermit für die dortige Bereithaltung von Mint Cornetto (meiner Lieblings-Eissorte mit Pfefferminz-Geschmack) Dank und Anerkennung ausspreche.
Im der nächsten und letzten Folge werde ich morgen summarisch über die Heimfahrt durch Frankreich berichten, wo es auch einiges an Landestypischem zu finden gibt, wenn auch keine frische Milch...
Samstag, 23. August 2008
Der am späten Vorabend angesteuerte Übernachtungsort ‑die hinterste Ecke eines großen Supermarkt-Parkplatzes in Uckfield- hatte sich als überaus kommod erwiesen: fester Untergrund (Asphalt), schützende Bäume seitlich und im Rücken, fließend Wasser (Bächlein) gleich hinter der fahrenden Behausung. Da ließ es sich nach der ambulanten Morgen-Toilette denn auch vortrefflich frühstücken (mit frischer Milch von nebenan). Und schon ging es frisch gestärkt wieder auf die Piste.
Nach einem spontanen Abstecher zu einer nahe der Route gelegenen Museums-Eisenbahn in Isfield (die »Lavender Line«, siehe auch Isfield railway station) inspizierten wir am Vormittag noch Lewes, um dann zur Mittagsstunde endlich im berühmten Seebad Brighton einzulaufen. Leider zeigte sich der Samstag dort arg windig und regnerisch, aber das war uns erstmal einerlei, stand doch zunächst der lang ersehnte Besuch im Royal Pavilion auf dem Programm. Und da war er nun:
Der damals juvenile Prinzregent und spätere König Georg IV. hat es bei der architektonischen Außen- und Innengestaltung seiner Sommerresidenz echt voll kraß krachen lassen (um mal eine zeitgenössische Wendung zu gebrauchen): Im pseudo-indisch-chinesischen Stil errichtet, erinnert der Palast in weiten Teilen an das Set eines Fantasy-Filmes: Drachen-Skulpturen überall, dekorative Ornamentik allerorten. Fotografieren verboten, außer natürlich für Analphabeten (reichlich), Piktogramm-Ignoranten (noch mehr) und zonebattler (einen, sich rechtschaffen schämenden):
Erstmals bekam unsereins anläßlich der Palast-Besichtigung einen Audioguide in die Hand gedrückt, eine Art elektronischen Führer in angenehm handschmeichelnder Telefonhörerform. Eine interessante, wenngleich ambivalente Erfahrung: Einerseits erfährt man von der in das Kästchen eingesperrten Geisterstimme natürlich eine Menge über das zu Sehende und über die historischen Hintergründe, andererseits braucht man fünf- bis achtmal so lange als ohne Plapperkasten, bis man mit dem Inspektionsgang fertig und wieder am Ausgang angelangt ist. Aber was soll’s, draußen warteten ja nur Sturm- und Regenböen auf uns...
Der anschließende Marsch durch die Stadt und insbesondere jener durch die lärmenden Spielhallen-Säle auf dem Brighton Pier müssen unbebildert bleiben, wollte ich doch nicht riskieren, die delikate Optik einem plötzlichen Salzwasser-Guß auszusetzen. Unbebildert und nicht mehr im Detail nachvollziehbar bleibt leider auch die präzise Route durch Stadt und über Strand, denn dummerweise hatte ich meinen unscheinbaren GPS-Tracker im geparkten Auto vergessen, wo er stumm und stur und stationär vor sich her trackerte. So bleibt der lange Pier auf der virtuellen Landkarte unbestriffen, und es ist nur die spätere Hin- und Her- und Weiterfahrt entlang der Uferpromenade für die Nachwelt aufgezeichnet:
Map data: © OpenStreetMap contributors, powered by MapSurfer.NET
Bis weit in den Abend hinein fuhren wir küstennah nach Osten, konnten aber keinen so recht überzeugenden Standplatz für die Nacht ausfindig machen. Erst in einem Vorort von Bexhill fand sich ein (mehr oder weniger) lauschiges Plätzchen hinter den Gebäuden einer aufgegebenen Tankstelle und ehemaligen Kfz-Werkstatt. Der nächste Tag ‑der Sonntag also- macht seinen Namen dann wieder alle Ehre, so daß der Besuch im nahen Hastings bei blauem Himmel, strahlendem Sonnenschein und darob gutgelauntem Federvieh stattfinden konnte...
Über die Stationen Battle (wo die berühmte Schlacht bei Hastings im Jahre 1066 tatsächlich stattgefunden hatte)- Bodiam Castle – Rye – New Romney und tags drauf New Romney – Dymchurch – Hythe – Dover ging es dann wieder zum Fähranleger und damit dem Ausgangspunkt unserer kleinen England-Expedition zurück. Im nächsten Teil gibt es morgen noch ein paar Bilder über das, was England so englisch macht. Stay tuned!
Freitag, 22. August 2008
Endlich auf britischem Boden angelangt, kurvten wir sogleich souverän durch Dover und freuten uns wieder des Lebens. Die Linksfahrerei erschien mir übrigens nie als problematisch: Gewöhnungsbedürftig sind einzig die teils ineinander übergehenden Kreisverkehre, aber im Gegensatz zu den liebestollen Franzosen (siehe gestern) fahren die Briten gemeinhin distinguiert und zuvorkommend. Nachdem wir uns in der Fußgängerzone der alten Hafenstadt zunächst mit dem Nötigsten versorgt hatten (insbesondere mit Reiseführern), verließen wir die Stadt in Richtung Kreideklippen, schauten von dort oben dem geschäftigen Treiben im Hafen zu und führen dann nach Norden, immer der Küste entlang...
Angesichts des eher knappen Zeitbudgets (Mittwoch mittags angelandet, standen bis zur gebuchten Fährpassage in Gegenrichtung am folgenden Montag Mittag gerade einmal zwei angeknabberte und vier volle Reisetage zur Verfügung) mußte ich meine ursprüngliche Hoffnung aufgeben, doch noch bis ins südwestliche Cornwall zu kommen. Es schien allemal vernünftiger, sich eher kleinräumiger zu bewegen und sich dafür intensiv in Kent (dem »Garten Englands«) und im angrenzenden Sussex umzuschauen. Eine gute Entscheidung, hielten sich doch die zu fahrenden Tagesetappen dadurch in angenehmen Grenzen.
Großbritannien ist aus vielerlei Gründen ein Land ganz nach des zonebattler’s Geschmack: Erstens kann er da in den Buchhandlungen nicht nur stundenlang schmökern und blättern, sondern das Gedruckte auch lesen und verstehen. Zweitens findet der bekennende Flohmarktfreak dort in jeder Stadt in bester Lage Dutzende gut sortierter Second-Hand-Shops verschiedenster Wohltätigkeits-Organisationen vor, in denen gespendete Gegenstände von ehrenamtlichen HelferInnen für einen guten Zweck versilbert werden. Spannend auch dies! Last but not least kann man überall frische Milch kaufen und dieselbe nach Genuß und interner Verarbeitung auch wieder fachgerecht entsorgen, denn öffentliche Toiletten sind nie weit weg. Sehr praktisch für Nervöse und Blasenschwache!
Im Vergleich zu früheren Besuchen im Land (die sämtlich schon mehr als ein Jahrzehnt zurückliegen) sind mir diesmal die zahllosen Maklerschilder an zum Verkauf stehenden Häusern aufgefallen: Entweder werden auch die Engländer weniger oder aber sie werden in Folge der sog. Globalisierung mehr als früher zur beruflich bedingten Mobilität gezwungen. In nicht wenigen Fällen dürften wohl auch geplatzte Finanzierungsmodelle ursächlich dahinterstehen...
Am unwahrscheinlichsten von den Erklärungsversuchen erscheint mir der, daß das Volk der Briten im Schrumpfen begriffen sei: Allerorten sieht man nämlich junge Mütter mit zwei, drei, vier oder gar noch mehr Kindern. Diese außerordentliche Fruchtbarkeit ist ganz zweifellos eine Folge des landestypischen Wetters (milde Temperaturen kombiniert mit reichlich Niederschlägen), welches bekanntermaßen auch ein außerordentliches Pflanzenwachstum bedingt:
Für Interessierte sei hier der erste Teil der Reiseroute anhand der besuchten Orte protokolliert: Dover – Deal – Sandwich – Ramsgate – Margate – Canterbury – Wye – Ashford – Lenham – Leeds Castle – Maidstone – Royal Tunbridge Wells – Uckfield – Lewes – Isfield – Brighton. Wie es dort ‑am Scheitel- und Wendepunkt der Reise- zuging, erzähle ich in der nächsten Episode...
Donnerstag, 21. August 2008
Der nächste Reisetag begann mit einem Abstecher nach Veurne, unserem letzten Besichtigungshalt in Belgien. Danach zügig weitergefahren durch den Nordzipfel Frankreichs bis nach Dünkirchen, ans Meer, ans Meer! Wind, Möwen, weiter Blick gen Engelland! Wir stellten das Auto am Ende einer Wohnstraße direkt am Strand ab und bestreiften denselben barfuß bei Ebbe...
Am Wasser konnten wir dann erstmals die Eingeborenen bestaunen und studieren: Die Franzosen sind ja berühmt-berüchtigte Liebhaber und die Französinnen allesamt schon von Kindesbeinen an kokett. Das hört selbst ein ansonsten sprachunkundiger zonebattler sofort aus dero melodiös-erotischen Sprache heraus. Kaum halbwüchsig bis erwachsen, turteln sie allenthalben herum und scheuen sich nicht, auch am hellichten Tage und in aller Öffentlichkeit ungeniert Körpersäfte auszutauschen...
Wenn man Glück hat und Robert Doisneau heißt, wird man mit sowas berühmt, als dahergelaufener und en passant draufhaltender zonebattler natürlich nicht. Aber sei’s drum, das ist wieder eine andere Geschichte...
Völlig überschätzt wird doch dagegen der Franzosen Feinschmeckertum! Unsereins kann stolz auf eine 48-jährige Tradition im Frischmilchtrinken zurückblicken und ist in all’ den Jahren nie davon entwöhnt worden. Völlig baff, ja nachgerade entsetzt stand ich daher in den Supermärkten vor leeren Kühlregalen: Sollten sie in Frankreich ‑wo doch auf jeder Wiese herdenweise Kühe aufgestellt sind- keine Milch haben? Doch, sie haben, freilich so gut wie ausschließlich in der für meinen verzärtelten Geschmack fast ungenießbaren H‑Milch-Variante! Die weißen Plastikflaschen tragen pastellfarbene Etiketten, so daß der Reisende aus Deutschland zunächst glatt glaubt, hier vor einem überbordendem Weichspüler-Angebot zu stehen:
Aber nein, Milch soll in den quietschbunten Flaschen enthalten sein! Eine probeweise Verkostung bestätigte später die schlimmsten Befürchtungen: Pfui Deibel! Nach intensiver Suche in diversen Feinkostläden konnte ich später tatsächlich richtige Frischmilch entdecken, in homöopatischen Dosen allerdings und zu exorbitanten, wenn nicht gar extraterrestrischen Preisen. Nee, schon deswegen könnte ich dort nicht auf Dauer leben...
Doch zurück von kulinarischen Feinsinnigkeiten zum unmittelbaren Geschehen: Während unseres letztlich dann doch recht ausgedehnten Spaziermarsches entlang der Uferpromenade ward unser treues Vehikel von Schurkenhand aufgebrochen und ausgeraubt! Sofort nach der Rückkehr zum Wagen, schon beim Aufsperren der Fahrertür erblickte ich den ungewohnt schief herausstehenden Verriegelungsstift auf der Beifahrerseite und ahnte Schlimmes. Und in der Tat: Fachkundig mit einem wie auch immer gearteten Werkzeug aufgehebelt, war der Schloßmechanismus der Beifahrertür offenbar blitzzschnell überwunden worden. Auf den ersten Blick fehlte allerdings »nur« die Kartentasche, deren Inhalt (Atlanten, Reiseführer, selbstgemalte Routenpläne, Internet-Ausdrucke) den Einbrechern sicherlich keinen Nutzen brachte, uns aber umso mehr fehlte. [1]
Ein an seiner Garage werkelnder Anlieger, im Brotberuf Polizist (!), hatte sogar ein Auto mit südfranzösischem Kennzeichen und zwei dubiosen Insassen beobachtet, die sich weiter vorn in Richtung Strand an unserem Minibus aufgehalten hatten. Unternommen hatte der Gesetzeshüter freilich nichts weiter, dafür half er uns jetzt (ebenso umsonst wie vergebens), im näheren Dünenbereich nach weggeworfenem Beutegut Ausschau zu halten... [2]
Eine nunmehr lose in den Angeln hängende Wagentür hätte wohl zwangsläufig zum Abbruch der Reise führen müssen. Da sich die fachmännisch und ohne jeden Lackschaden aufgebrochene Tür jetzt aber von außen gar nicht mehr, wohl aber noch (und nur) von innen öffnen ließ, war zumindest die Weiterfahrt gesichert. Dennoch: So ein brutaler Übergiff in die Intimsphäre, der erste zumal im eigenen Erleben, traumatisiert und macht einen zunächst glauben, daß Auto gar nicht mehr aus den Augen lassen zu dürfen. Tatsächlich waren der zonebattler und seine bessere Hälfte heilfroh, sich am folgenden Tag in Calais einschiffen und das Land der Autoknacker (vorerst) verlassen zu können. Im Hafen fiel die Anspannung dann endlich ein wenig von uns ab, als wir uns auf Spur Nr. 14 in die Schlange der auf die Fährverladung wartenden Autos einreihen durften.
Nicht mehr lange, dann waren wir endlich drüben im sicheren Schoß meines erklärten Lieblings-Reiselandes, durchwegs bevölkert von ehrlichen Häuten, biederen Bräuten und insbesondere vollen Frischmilchregalen. Britannia, here we come!
[1] In England konnten (und mußten) wir dann Reiseführer für Großbritannien und Frankreich (die dicken von Dorling Kindersley) frisch erwerben und die weitere Reiseroute ambulant festlegen. Auch war die ausgedruckte Buchungsbestätigung der Fährpassage durch den dreisten Diebstahl futsch und dahin, doch hatte ich den gleichlautenden Mail-Text samt Reservierungsnummer umsichtigerweise in die Kalender unserer beiden Palm-Organizer kopiert. Bei allem Ärger ist es ein durchaus erhebendes Gefühl, wenn redundante Sicherheitsvorkehrungen sich urplötzlich und unverhoffterweise doch mal auszahlen...
[2] Erst am Abend stellten wir noch einen weiteren Verlust fest, nämlich den des Kulturbeutels: Zahnbürste, Seife und Duschgel waren tags darauf leicht zu ersetzen, nicht jedoch diverse verschreibungspflichtige Medikamente. Und über den ach so sinnlosen Verlust seiner Knirscherschiene zeigt sich der Unterzeichnende noch heute ziemlich zerknirscht.
Mittwoch, 20. August 2008
Kaum ist man aus Aachen raus, ist man auch schon in Belgien drin: Man merkt es sofort an den die Autobahn des nachts beleuchtenden Straßenlampen, mit denen sie sich dort drüben vor lichtscheuem Gesindel zu schützen hoffen. Die ständige Illumination führt leider auch dazu, daß die Einheimischen und viele ihrer Besucher unterdessen eine gewisse Angst vor der Dunkelheit entwickelt haben und daher (vorzugsweise in dämmerigen Kirchen) mit allem unentwegt herumblitzen, was Handy, Taschenkamera oder Spiegelreflex aufzubieten haben. Da nützen auch große Knipsverbotsschilder in zwei Meter Abstand nix. Das freilich ist ein Thema für sich, welches der zonebattler noch einmal separat aufgreifen wird...
Doch wieder zurück zum Land der Flamen und Wallonen: Die können aus historischen Gründen nicht so recht miteinander und vernachlässigen darüber augenscheinlich die Infrastruktur. Selten haben wir so viele armdicke Bäume aus Kirchen- und Palastdächern wachsen sehen! Was sicher einst als schleichende Vernachlässigung begann, ist mittlerweile vielerorts zum galoppierenden Verfall angewachsen. Das kann zugegebenermaßen mitunter recht pittoresk wirken und an Veduten von Piranesi erinneren, rührt aber dem fassungslosen Betrachter angesichts der teils kolossalen Wasser- und Vandalenschäden das Herz. Vieles scheint hier also am Boden darniederzulegen, und wenn man sich mit der Kamera dazulegt ‑zum Beispiel vor dem Palais Royal in Brüssel- hat man meist sogleich etwas Merkwürdiges vor der Linse stehen...
Über den desolaten Zustand ihres Gemeinwesens zu Recht frustriert, greifen die Belgier gern und oft zu tröstenden Schokoladestückchen, weshalb die heimische Pralinenproduktion in hoher Blüte steht, ja nachgerade Weltmarktführerschaft beanspruchen kann. Daß der Protokollant während seines kurzen Aufenthaltes nicht gleich fünf Kilo zulegte, ist einzig den exorbitanten Preisen der süßen Delikatessen geschuldet. Weil die Belgier über der ganzen Nascherei nicht selten vergessen, während der Ladenöffnungszeiten auch für die Deckung des Grundbedarfes Sorge zu tragen, stehen in vielen Gemeinden Brotautomaten stets dienstbereit herum.
Auch ansonsten findet man im kleinen Nachbarland manche Eigenartigkeit in der Welt der Wirtschaft, zum Beispiel ehemalige Kirchen, in denen heutzutage nur noch dem Mammon gehuldigt wird:
Inwieweit sich in solchen Konsumtempeln [sic!] eine zunehmende Gottlosigkeit in der Gesellschaft widerspiegelt, soll an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. Auch soll keineswegs der Eindruck entstehen, daß Belgien nicht auch schöne Seiten aufzuweisen hätte. Das Gegenteil ist der Fall! Im ostflandrischen Gent zum Exempel kommt man gar nicht umhin, in nahezu jeder Blickrichtung ansichtskartengerechte Stimmungsbilder vor sich zu sehen:
Auch Brügge in Westflandern ist berühmt für seine intakte mittelalterliche Altstadt. Während wir in Deutschland allenfalls Rothenburg ob der Tauber als vergleichbaren Trumpf ausspielen können, haben die Belgier dutzende putziger Städtchen in der Hinterhand und im Hinterland. Dennoch: Hinter mancher nett herausgeputzen Fassade können Abgründe lauern, Grauen und Entsetzen gar! Wehe dem, der dort den Schritt über die Schwelle wagt:
Der abgebildete stumme Schrei schien bis dato nicht erhört worden zu sein, obwohl man wohl davon ausgehen kann, daß die meisten Belgier nicht nur entweder des Niederländischen oder Französischen mächtig sind. Auch der zonebattler unternahm keine Anstalten, hier weiter nach dem Rechten zu sehen. Tags drauf war ihm dann freilich selbst nach einem Hilferuf zumute, als er und seine bessere Hälfte nämlich arglose Opfer leibhaftiger Verbrecher wurden. Mehr dazu in der nächsten Episode...
Montag, 18. August 2008
Das eigene Land zu durchreisen ist zunächst meist keine sonderlich aufregende Erfahrung: Wegweiser, Briefkästen, Polizeiautos und Ladenschilder schauen kaum anders aus als die daheim. Man ist irgendwie noch nicht wirklich weg. Wohl dem aber, der ein kleines und eher langsames Auto hat: Da stellt sich der Wunsch nach überschaubaren Etappen und ausgiebigen Pausen ganz von selbst ein! Zum Beispiel schon nach 100 Kilometern:
Im ruhigen Hofgarten der Würzburger Residenz läßt es sich ganz wunderbar flanieren, selbst bei schönstem Ferienwetter verliert sich werktags nur eine Handvoll BesucherInnen darin. Wir labten uns im rekonstruierten Wirtschaftsgarten an reifen Walderdbeeren, die offenbar nur der Zierde dienen und ansonsten allenfalls von ortskundigen KennerInnen gemundraubt werden. Ein leckerer Reiseauftakt! Auch vor dem Schloß förderte der Blick zum Boden manch’ rätselhafte Überraschung zutage:
Auf der Rückseite jenes Pappschildes stand übrigens »kostenlos« zu lesen. Na dann!
Jetzt müssen wir das Erzähltempo aber doch etwas verschärfen, sonst dauert die rekapitulierende Zusammenfassung am Ende noch länger als die eigentliche Reise. Der private Hausbesuch beim Lexikaliker sei daher nur am Rande erwähnt; wir spulen flugs vor und setzen tags drauf wieder ein beim Besuch der berühmten Abtei Maria Laach in der Eifel. Zunächst galt es, den unweit der Klosterkirche gelegenen Caldera-See per pedes zu umrunden, was der in der Hosentasche mitgeführte GPS-Tracker natürlich penibelst protokollierte:
Map data: © OpenStreetMap contributors, powered by MapSurfer.NET
Überhaupt ist es eine feine Sache, sich von so einem kleinen Reisebegleiter die Route und damit letztlich auch die Erinnerungen zuverlässig konservieren zu lassen. Ich werde in einer späteren Episode noch darauf zurückkommen, welche durchaus unerwarteten Nebenwirkungen das hinsichtlich der eigenen Fotografierwut zeitigen kann...
Die folgenden ausgiebig inspizierten Etappenziele (Bad Münstereifel, Gemünd, Aachen) seien der Vollständigkeit halber zwar nicht verschwiegen, aber auch nicht näher beschrieben, denn wie eingangs schon erwähnt ist die Anmutung inländischer Orte auf einem gewissen gemeinsamen Nenner stets die gleiche, wiewohl natürlich die Baudenkmäler und die Dialekte der Insassen wechseln. Wirklich anders wird es erst mit dem Überfahren einer Landesgrenze, in unserem Fall war es die zu Belgien. Wie es dort zugeht, wird Thema und Gegenstand der nächsten Folge sein...
Sonntag, 17. August 2008
Als ich in einem früheren Leben im Jahre 1991 erstmals in das südenglische Seebad Brighton kam, war der exotisch-kuriose Royal Pavilion vollständig eingerüstet und wegen allfälliger Instandsetzungsarbeiten nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Gut 17 Jahre später galt es nun, die überfällige Besichtigung endlich nachzuholen...
Während es den zonebattler also nach England zog, wollte seine bessere Hälfte unbedingt Frankreich bereisen. Beides miteinander verbindend und vereinend, brach man am letzten Julitag mit (und in) der treuen Renngurke gen Westen auf.
Erstmals konnte ich dank meines handlichen Vorratsdatenspeichers (der im Bild zu sehende, weiße GPS-Tracker) die gesamte Reiseroute automatisch mitprotokollieren und jetzt in Nachgang visualisieren lassen. Aus großer Höhe sieht die zurückgelegte Strecke auf der Landkarte so aus:
Bei weiterem Hineinzoomen wird die farbige Trackerspur dann immer detailierter: Letztlich sieht man jeden Ampelstopp und jede Pinkelpause Rast. Erfreulich üppig ist übrigens die Speicherausstattung meines kleinen weißen Protokollführers: Obwohl ich ihn alle 2 Sekunden (!) die Position aufzeichnen und täglich ca. 12 Stunden lang laufen ließ, war er nach 17 Reisetagen noch nicht mal halbvoll!
Da die Fahrzeugbesatzung berufsbedingt recht hotelerfahren ist, zieht sie im Urlaub gemeinhin die morgendliche Gesellschaft von Hase und Igel der von Hinz und Kunz vor und nächtigt freudig in freier Natur. Zu diesem Behufe sucht sie bei Einbruch der Abenddämmerung einen geeignet erscheinenden Standplatz für den mit wenigen Handgriffen zum komfortablen Schlafwagen umzurüstenden fahrbaren Untersatz. In (meist) friedlicher Umgebung findet der Reisetag dann sein beschauliches Ende.
Angst braucht man unserer Meinung nach bei dieser Art des naturnahen Nächtigens nicht zu haben, sind doch die Räuber heutzutage gemeinhin nicht mehr im Walde, sondern im Internet (und/oder in den schnieken Chefetagen) anzutreffen...
Übrigens ist der bewährte Wagen ebenso kompakt wie geländegängig und verhilft dank mitgeführter Küchen- und Waschkisten zu einem doch beträchtlichen Maß an Autarkie. Hinterher ist man immer wieder auf’s Neue verblüfft, mit wie wenig man auskommt, um ein ‑keineswegs spartanisches- Vagabundenleben auf Zeit zu führen.
Soviel vorab, als Präambel sozusagen und um das grundsätzliche Szenarium zu setzen. In eigenen Beiträgen sollen die Erlebnisse und Ereignisse in Deutschland, Belgien, Frankreich, England und wiederum Frankreich und Deutschland ausführliche Würdigung finden.
Süßer und scharfer Senf: