Sonntag, 30. Dezember 2018
Am Ende der vorherigen Folge verstieg sich der zonebattler in Schwurbeleien bezüglich der von ihm postulierten, toskanischen Anmutung der zentralrumänisch-siebenbürgischen Landschaft. Nun mag da jede(r) eigene Assoziationen haben und diesen Vergleich mehr oder weniger weit hergeholt finden, allein des Berichterstatters Gemüt sah sich tatsächlich von italienischer Leichtigkeit erfüllt, als er auf dem rumpelnden Bretterwagen wieder zurück in Richtung Richiș (Reichesdorf) kutschiert wurde:
Vielleicht war es auch nur ein allgemeines (Hoch-)Gefühl von Freiheit und Abenteuer, begünstigt durch das temporäre Ausklinken aus allen daheim zurückgelassenen Verantwortlichkeiten sowie dem unverstellten Blick in die Natur und die Weite des Horizonts, eine Elementarerfahrung, die einem als Stadtbewohner im normalen Alltag gemeinhin nicht so oft vergönnt ist.
Aber wenn man schon mal Schönes um sich hat und auch entsprechend Zeit, es zu genießen, dann soll man die Gelegenheit beim Schopfe packen. So dachte sich der Chronist, als er sich anderntags schon gegen Mittag wieder in die Horizontale begab und im ehemaligen Pfarrgarten von Reichesdorf alle Viere behaglich von sich streckte:
Ja, so kann man es aushalten, obwohl unter dem üppig tragenden Apfelbaum ein realistisches Risiko bestand, unverhofft gewaltig einen auf die Birne zu kriegen. Links und rechts von mir und um mich herum waren jedenfalls im Minutentakt Einschläge von frischem Fallobst zu hören. Vermutlich hat aber eine höhere Macht ihre schützende Hand über mich gehalten, ich wurde jedenfalls im Schatten des einstigen Pfarrhauses nicht von ausgeklinkten Äpfeln attackiert...
Unser Urlaub neigte sich nun langsam seinem Ende entgegen. Wie so oft bei intensiven Erfahrungen jenseits der gewohnten Umgebung und abseits der alltäglichen Rituale war unser Zeitempfinden gründlich dejustiert worden und die Sommerfrische kam uns deutlich länger vor, als sie mit noch nicht einmal zwei Wochen tatsächlich war. Noch einmal spazierten wir abends von unserer im ehemaligen Pfarrhaus logierenden Nachbarsfamilie zu unserer eigenen Ferienwohnung die Hauptstraße von Richiș hinunter:
Tags darauf machten sich die anderen Fürther – von uns ordnungsgemäß verabschiedet – auf den langen Heimweg von Rumänien nach Deutschland, quer durch Ungarn und Österreich. Da sie ja mit dem Familienmobil auf dem Landwege reisten und schon der Kinder und des Hundes wegen noch eine Übernachtung unterwegs eingeplant hatten, fanden sich der zonebattler und seine bessere Hälfte in der Situation wieder, einerseits noch einen ganzen Tag länger bleiben zu können, andererseits dank stählerner Flügel später sogar als erste wieder daheim in Franken anzukommen. [1]
Indes bedeutete das auch, ohne die stets situationsklärende, kommunikative Hilfe unserer Muttersprachlerin Almut auszukommen, was insofern zu leichter Unruhe Anlaß gab, als wir ja noch in Sachen Transfer zum Flughafen von Sibiu (Hermannstadt) auf einheimischer Leute Hilfe angewiesen waren. Aber nachdem uns unser leidlich englisch sprechender Ferienwohnungs-Vermieter versprochen hatte, uns mitsamt seinem Bruder höchstselbst in die gut 70 km entfernte Stadt zu kutschieren, konnten wir den letzten vollen Urlaubstag noch einmal vollends auskosten und eine große Wanderung in die Umgebung unternehmen...
Typisch rumänische Bauernhäuser wie das vorstehend gezeigte fallen ein, zwei Nummern kleiner aus als die einstigen Anwesen der Siebenbürger Sachsen, sind aber nicht minder liebenswürdig in ihrer bescheidenen, sich in die Landschaft einfügenden Art. Im Verein mit der unverstellten (und nicht eingezäunten) Umgebung erwecken sie in des mitteleuropäischen Städters naiver Fantasie den Eindruck von ländlicher Idylle und »heiler Welt«, einer fraglos bei näherer Betrachtung halt- und substanzlosen Illusion.
Vor lauter Staunen über die von den deutschstämmigen Siedlern errichteten Kirchenburgen kam die Volksfrömmigkeit der eingeborenen Rumänen hier bislang noch gar nicht recht zur Sprache. Auch die – verschieden ausgeprägte, aber letzlich gemeinsame – Religion vermochte die beiden großen Bevölkerungsgruppen auf Dauer nicht zu vereinen: Beide hatten bzw. haben ihre eigenen Kirchen und ihre eigenen Friedhöfe. Und auch ihre eigenen Kruzifixe, an denen freilich der gleiche (hölzerne) Heiland hängt. Es ist schon ein Kreuz...
Für uns Wandersleute haben derlei handgreifliche Manifestationen des ortsüblichen Glaubensbekenntnisses vor allem auch eine nostalgisch-pittoreske Seite, die perfekt zum Bild der hier noch überwiegend gering mechanisierten Landwirtschaft paßt. Pastorale Szenen wie diese wirken daher auf den mitteleuropäischen Metropolregionsbewohner wie aus der Zeit gefallen...
Nämliches galt für die Begegnung mit einer Ziegenherde, die wir nur wenige Kilometer weiter hatten: Vom wettergegerbten Schäfer bis zur malerischen Landschaft bot sich dem Blick das perfekte Arrangement einer bäuerlichen Genreszene nach Art der alten Meister. Einzig das wirklich furchteinflößende Gebell und Gehabe eines halben Dutzend zähnefletschender Hirtenhunde (aus mutmaßlich wenig liebevoller Haltung) injizierte einen Schuß Adrenalin in den ansonsten vorherrschenden Glückshormon-Cocktail...
Was macht man in solchen Fällen? Genau, den Weg unverzüglich frei, um den aggressiven Kläffern zu signalisieren, daß man ihre geifernd vorgetragenen Argumente durchaus verstanden hat und zu würdigen weiß. Es hier auf eine Kraftprobe ankommen zu lassen, würde nominell intelligentere Zweibeiner letztlich doch sehr schnell als die Dümmeren dastehen (wenn nicht gar liegen) lassen.
Kaum also ward die Brücke freigegeben, da flutete auch schon die Herde heran und hinüber, begleitet vom fröhlichem Gemecker der Ziegen und dem nurmehr der Form genügenden Knurren ihrer Begleithunde. Nach einigen Minuten hatte der tausendfüßige Tross endlich die angepeilte Wiese erreicht und wir konnten die Brücke unbehelligt in Gegenrichtung passieren...
Auf einer asphaltierten Straße ging es dann zügig weiter bis nach Nemsa (Niemesch), einem letztlich so unbedeutenden Kaff, daß es zwar (Überraschung!) über eine kleine Kirchenburg verfügt, gleichwohl aber über keinen eigenen Wikipedia-Eintrag, auf den ich hier verlinken könnte. Mir selbst ist ein rührend zu nennender, winzig kleiner Dorfladen in Erinnerung geblieben, in dem es immerhin ein erfrischendes Eis am Stiel zu kaufen gab.
Ansonsten bot sich dem Besucher dort das gleiche Bild wie in den anderen sächsischen Siedlungen auch: Die typische Aneinanderreihung von Haus und Hof mit allerlei die Schönheit verschandelnden Accessoires wie Satelliten-Schüsseln und Strommasten mit lustlos drangehängtem Strippensalat. Sehr vertraut war uns inzwischen zudem der Anblick von Pferdewagen samt sonnengebräunter, bäuerlicher Besatzung:
Raus aus dem Ort, rein in die Wiesen und Auen: Über allerlei Feld- und Wirtschaftswege wanderten wir weiter durch die Natur, in der wir dann langsam aufgrund zahlreicher Wegeswindungen und mangels auffälliger Landmarken die Orientierung verloren. Dank Sonnenstand und Smartphone mit GPS-Ortung konnten wir aber unsere generelle Marschrichtung beibehalten, bis wir auf breitere Wege und bekannte Straßen kamen...
Die wir dann aber doch bald wieder verließen, um abseits der nicht ganz ungefährlichen Auto-Pisten wieder zu unserem Ausgangspunkt zurückzumarschieren. Kurz vor Reichesdorf nahm ich dann nochmal einen ehemaligen Weinberg ins Visier, in dessen abendlicher Lieblichkeit der Wehmut mitschwingt über den einstigen Reichtum [2] des Landes:
Was nun noch folgte (Kofferpacken, letzte Nacht in fremden Betten, lange Fahrt zum Flughafen usw.) ist im Detail nicht berichtenswert. Interessanter ist die Frage nach der zukünftigen Entwicklung der Region: Die Siebenbürger Sachsen, die bis heute hier geblieben sind, werden in wenigen Jahren ausgestorben sein. Ihre Nachkommen, die jetzt in Deutschland, Österreich oder anderswo ansässig sind, werden nicht zurückkommen. Warum auch? Die einstigen »Nachbarschaften«, die wechselseitige Hilfestellung in allen Lebenslagen boten [3], gibt es nicht mehr, wer hier neu anfangen wollte, müßte das faktisch fast bei Null tun. In einem Land, das entwicklungsmäßig immer noch hier und da hinterherhinkt und in dem Recht haben und Recht kriegen vermutlich immer noch weiter auseinanderliegen als in den mitteleuropäischen Demokratien. So fokussiert sich die Hoffnung auf eine junge Generation ökologisch denkender Rumänen, die hoffentlich nicht alle ihr Heil und ihre Zukunft in den Städten (oder gar im Ausland) suchen, sondern die im eigenen Land Aufbauarbeit leisten und Siebenbürgen langfristig aufs Neue erblühen lassen.
Der Verfasser hofft, mit seinen Zeilen Interesse an einem Landstrich geweckt zu haben, den vermutlich viele (wie er selbst ja vorher auch) bislang gar nicht als mögliche Reise-Destination auf dem Schirm gehabt hatten. Wer sich indes für Geschichte erwärmen kann und ein Faible für Architektur hat, nehme sich die Liste von Orten in Siebenbürgen mit Kirchenburg oder Wehrkirche vor: Bis man die ca. 150 Orte angefahren oder angelaufen und besichtigt hat, wird man ein paar Urlaube brauchen!
[1] Der gestaffelte Aufbruch war in erster Linie dem Umstand geschuldet, daß die Relation Nürnberg – Sibiu und zurück nicht täglich beflogen wird. Aber auch sonst hätten wir den Weg zum Flughafen nicht gemeinsam mit unseren heimreisenden Nachbarn antreten können, weil ihr Wagen ja schon mit den eigenen Familienmitgliedern samt deren Gepäck und Proviant bis in die letzten Lücken ausgefüllt war.
[2] Siehe dazu den Wikipedia-Artikel »Weinbau in Rumänien«.
[3] Zum Preis von sozialer Kontrolle und geistiger Enge, wie zu vermuten steht. Das eine ist ja ohne das andere meist nicht zu haben...
Donnerstag, 27. Dezember 2018
Montag, 24. Dezember 2018
Freitag, 14. Dezember 2018
Donnerstag, 13. Dezember 2018
Sonntag, 9. Dezember 2018
Da wir ja für die Dauer des gesamten Urlaubs unser Hauptquartier in Richiș (Reichesdorf) aufgeschlagen hatten, war unser Aktionsradius auf eine halbe Tagesreise beschränkt. Von einer echten Beschränkung konnte indes keine Rede sein, denn es gab im Umkreis von ein paar Dutzend Kilometern ohnehin viel mehr zu sehen, als in unserer heurigen Sommerfrische Platz finden konnte. [1] Der in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerteste Ausflug (unter anderem war er der weiteste) führte uns nach Viscri alias Deutsch-Weißkirch. Die schier nicht enden wollende Anfahrt über eine holprige »Straße« der Kategorie »Testparcours für Militärfahrzeuge« führte uns schließlich in das beschauliche Dorf, welches mitsamt seiner (na was wohl?) Kirchenburg auf der Welterbe-Liste der UNESCO steht. Und das völlig zu Recht, wie schon der erste Blick auf die bestens gepflegte Sakralfestung beweist:
Routiniert wurde a) das Innere inspiziert, b) der Turm bestiegen, c) die Aussicht genossen, d) der komplette Gebäudekomplex begangen und schlußendlich e) die Gedenktafeln für die in den beiden Weltkriegen umgekommenen Kriegsopfer des Ortes studiert [2]. Auch wenn sich diese trutzigen Bauten im Zweck gleichen und in ihrer Anlage oftmals ähnlich sind: Letztlich ist doch keine Kirchenburg wie die andere und jede hat ihren eigenen Charakter!
Beim anschließenden Bestreifen des Ortes machten wir noch in einer nahen Hofwirtschaft Halt, aus deren hinteren Bereich ein beständiges Klopfen und Schleifen oder Fräsen zu hören war. Zunächst dachten wir allesamt an Bauarbeiten zur Verschönerung des Anwesens. Tatsächlich aber wurden wir erst Ohren- und dann erstaunte Augenzeugen der landesüblichen Brotproduktion: Die außen völlig verkohlt erscheinenden Laibe wurden – frisch aus dem Ofen kommend – erst von Frauen auf Tischplatten gehauen (wodurch die äußeren »Verkohlungen« abfielen) und dann an Männer weitergereicht, die an stationären Elektromotoren mit aufgepflanzten Schleifscheiben den Rest der schwarzen Schicht herunterfrästen, bis als Lohn der Mühe ein dampfend heißer Brotlaib mit honiggelber Kruste übrig blieb. Das alles ging in eingespielter Präzision ruck-zuck vonstatten und dem weiland verblüfften Endesunterfertigten läuft Monate später immer noch das Wasser im Munde zusammen beim Gedanken an den wunderbaren Geschmack des ultrafrischen Brotes...
Auch sonst gab es in Viscri / Deutsch-Weißkirch einiges zu entdecken, fröhlich-farbig verputzte Häuser, schön restaurierte Details, und immer wieder machen sich Hausbesitzer auch die Mühe, alte Fassaden-Inschriften von früheren Besitzern und Bewohnern wieder aufzufrischen. Na ja, sowas wie »Lasset uns am Alten, so es gut ist, halten. Aber auf dem alten Grund Neues wirken jede Stund« mag ja auch manchem Rumänen ohne deutsche Wurzeln als weises Lebensmotto erscheinen.
Die geneigte LeserInnenschaft möge sich bitte Viscri per Google Maps aus der Luft anschauen: Einmal mehr fällt das typische Erscheinungsbild eines Siebenbürgischen Straßendorfes auf mit vielen schmalen, aber sehr tiefen Anwesen entlang der Hauptstraße. [3] In diesem zwar umständlich erreichbaren, jedoch in jedem Reiseführer hervorgehobenen Dorf kann man durchaus den Einduck eines durch den Tourismus beförderten, langsamen Aufschwungs gewinnen: Handarbeiten werden ausgestellt und angeboten, und der schon erwähnte Trend zur ordentlichen Instandsetzung und ‑haltung der alten sächsischen Häuser scheint sich links und rechts der Vorreiter fortzusetzen: Wenn’s der Nachbar sichtbar schön(er) hat, will man bald selbst mit einem ansehnlichen Erscheinungsbild der eigenen Behausung glänzen:
Man kann den Deutsch-Weißkirchern nur wünschen, daß Sie den wuchernden Tourismus auf eine Weise einhegen können, daß er dauerhaft mehr segensreiche als schädliche Wirkung entfaltet. Eine besser ausgebaute Zufahrtsstraße und mehr Parkplätze würden vermutlich die Verkäufer kitschiger Fernost-Souvenirs und dubioser Draculantien auf den Plan rufen, von ortsuntypischen und kulinarisch fragwürdigen Einkehr-Angeboten nicht zu reden. Wie es sich langfristig ausgeht, ist ungewiß. Noch jedenfalls ist es in und um Viscri recht beschaulich...
Noch ruhiger geht es in Cloașterf (Klosdorf) zu, einem der drei Ortsteile von Saschiz (Keisd), den wir auf der Rückfahrt ansteuerten (der befestigten Kirche wegen, wie die bis hierher treu gebliebenen LeserInnen fraglos bereits geahnt haben). Ein kleiner Weiler im regionaltypischen »Ladykracher-Layout« [3], der zwar insgesamt nicht eben heruntergekommen ausschaut, in dem aber doch die Spuren langjährigen Verfalls hier und da deutlich zutage treten:
Tja, warum sind an sich schöne Häuser in idyllischer Lage unbewohnt und dem langsamen Verfall preisgegeben? Sind es ungeklärte Eigentümerverhältnisse, landfluchtbedingter Einwohnerschwund oder mangelt es den Hausbesitzern schlicht am Willen (oder auch nur an den Mitteln), ihren Besitz angemessen zu pflegen? Man weiß es nicht, aber einen (oder mehrere) der genannten möglichen Gründe wird es schon haben...
In Cloașterf trafen wir das Tor im Wehrwall um die Kirche verschlossen an. Es fand sich immerhin ein Hinweis auf den Schlüsselbewahrer und dessen Telefonnummer. Und tatsächlich, unsere mitgeführte Muttersprachlerin Almut konnte anhand dieser Angaben den rumänischen Aufpasser herbeirufen. Nur wenige Minuten später surrte er auf einem elektrischen Miniaturmotorrad herbei und gewährte uns Einlaß in das alte Gemäuer, in dem abermals die Zeit stehengeblieben zu sein schien:
Auch wenn dies durchaus nicht das erste menschenleere (wenngleich mutmaßlich nicht gottverlassene) Gotteshaus war, welches wir auf unserer Reise besichtigten: Erneut konnte man den Eindruck haben, als wäre die Gemeinde der Gläubigen gerade erst aufgebrochen (oder noch nicht eingetroffen). Man muß sich immer wieder ins Bewußtsein rufen, daß kaum noch Siebenbürger Sachsen in dieser Gegend leben, die über Jahrhunderte ihre Heimat gewesen war. Da ihr selbstgewählter Exodus nicht mit einer überhasteten Flucht vor einem anrückenden Feind zu vergleichen ist, verwundert es schon, daß die Rumäniendeutschen sogar in ihren privaten Häusern so viele persönliche Dinge einfach zurückgelassen haben...
Wie so oft war es unserer multilingualen Nachbarin vergönnt, mit dem lokalen Bodenpersonal einen schnellen Schwatz auf Rumänisch zu halten. Das freute natürlich auch den diensteifrigen Schlüsselbewahrer, die gemeinsame Sprache verbindet und löst die Zunge. Der Berichterstatter, dessen Plappertaschizität in heimischen Gefilden nachgerade legendär ist, war in Rumänien oftmals zum stummen Zuhören verurteilt, und nicht mal das funktionierte zufriedenstellend, da ihm seine zusehends nebulöser werdenden Latein-Kenntnisse allenfalls bei der Dechiffrierung von amtlichen Schriftstücken ahnungsweise weiterzuhelfen vermögen. Na immerhin konnte er dadurch sich im vorliegenden Falle ganz auf die Komposition eines Schattenspieles mit den beiden agilen Gesprächspartnern konzentrieren:
Nachdem wir alles gesehen hatten (wie immer inklusive Turm mit Glocken und kubikmeterweise Tauben-Guano), schwang sich der freundliche Herr wieder auf seinen kompakten E‑Roller und schnurrte von hinnen, um sein unseretwegen unterbrochenes Tagewerk wieder aufzunehmen. Wir fuhren im Auto hinterher und machten auf dem Heimweg noch kurz Station im eigentlichen Ort Saschiz, dessen eindrucksvolle Wehrkirche uns an diesem Tage allerdings wirklich verschlossen blieb. Egal, man kann nicht immer Glück haben und so bleibt für die nächste Reise nach Rumänien auch noch was übrig...
Am nächsten Morgen schwangen wir uns nach dem Frühstück auf die Fahrräder unserer Nachbarn, welche diese – hinten auf ihr Auto geschnallt – aus Fürth nach Rumänien mitgenommen hatten. Sehr praktisch indeed! Das Ziel der Strampelei war wieder einmal der Nachbarort Biertan (Birthälm), dessen Kirchenburg zu den meistbesuchten zählt, was wohl zu gleichen Teilen ihrer facettenreichen Anlage, dem guten Erhaltungs- respektive Renovierungszustand und der verkehrsgünstigen Lage zuzuschreiben ist. Jedenfalls tut man gut daran, vor den rentnerspuckenden Reisebussen aufzuscheinen. Nach Besichtigung der architektonischen Innereien kam ich nicht umhin, die Kamera zu zücken, um das wuchtige Ensemble mit seinen vielen trutzigen Türmen nochmals im Bilde festzuhalten:
Über die bereits in der vorausgegangenen Folge beschriebene, mit üppigster Bezuschussung durch die EU ins pittoreske Nichts gebaute Asphaltstraße radelten wir anschließend retour bis zum Ende der mondänen Piste, schoben alsdann die Drahtesel über den Berg und rollten schlußendlich erschöpft, aber zufrieden wieder in Reichesdorf ein...
Aber damit war der Tag ja bei weitem noch nicht ausgefüllt! Nach einem mittäglichen Nickerchen folgte auf die Zweiradtour ein Vierradausflug der besonderen Art: Ein schon Tage zuvor seine Dienste angeboten habender Fuhrwerksbesitzer tauchte tatsächlich zum verabredeten Zeitpunkt am ausgemachten Treffpunkt auf, um die Fürther Delegation (bekanntlich bestehend aus vier Erwachsenen, zwei Kindern und einer Labradoreuse) quer durch die üppig-grüne Landschaft nach Ațel (Hetzeldorf) zu kutschieren. Die ausgewaschenen Schotterwege, der Wagen aus groben Brettern und die schwabbelig-weichen Ballonreifen ließen die Fahrt zwar streckenweise zur Schaukelpartie werden, der Chronist konnte jedoch Anflüge von Seekrankheit tapfer unterdrücken. Kindheitserinnerungen wurden in ihm wach, als das schwer beladene Vehikel über die staubigen Wirtschaftswege zuckelte:
An dieser Aufnahme ist mehrerlei bemerkenswert: Erstens die roten Fingernägel von Prinzessin Ida (5), zweitens, daß man vor lauter Besatzung das Vehikel gar nicht sieht, drittens der ruhig laufende Antrieb mit 1 PS, viertens die grünen Hügel im Hintergrund, deren Terrassierung sie eindeutig als ehemalige Weinberge ausweist. Man bekommt so langsam eine Ahnung davon, wie ausgedehnt, ja nachgerade dominierend der Weinanbau in dieser Gegend früher war, dessen Beherrschung aber mit dem Exodus der Siebenbürger Sachsen weitgehend verloren gegangen ist und der nun von besonders rührigen jungen Rumänen langsam wieder erlernt und betrieben wird, freilich in einem im Vergleich zu früher noch recht bescheidenen Maßstab...
Die obligatorische Kirchenburg sahen wir am Ziel unserer Ausfahrt nur aus der Ferne, wir wurden von des Fuhrmanns Familie erwartet und freundlich bewirtet. Nach Verkostung von Backwerk und gestenunterstütztem Small Talk erklommen wir immerhin noch den hochgelegenen deutschen Friedhof von Ațel, spähten durch das Schlüsselloch der zugesperrten Bergkapelle und studierten die Inschriften der Grabsteine. Auch diesmal gab es wieder die landestypische Häufung bestimmter Nachnamen zu beobachten:
Anschließend ging es wieder zurück über Stock und Stein im pferdebespannten Bretterwagen durch eine malerische Landschaft, die streckenweise den Vergleich mit der Toskana nicht zu scheuen braucht. Dies im Bilde zu belegen behalte ich mir aber für den vierten und letzten Teil dieser Reiseberichterstattung vor.
[1] Womit angedeutet sei, daß ein weiterer Besuch in Siebenbürgen bereits als beschlossen gelten darf...
[2] Diese Gedenktafeln lesen sich insofern besonders bestürzend, als manche Nachnamen auf ihnen gleich halbdutzendfach oder gar noch öfters zu sehen sind. Auf den ersten Blick scheinen dort in beiden großen menschengemachten Katastrophen des 20. Jahrhunderts ganze Familien ausgelöscht worden zu sein, aber hier spielt natürlich auch die »geschlossene Gesellschaft« der Siebenbürger Sachsen mit hinein: Die Heiraterei untereinander führte logischerweise auch zur Vermehrung etablierter Familiennamen. Im Verein mit einer traditionellen Neigung zur Vergabe der elterlichen Vornamen an die Nachkommen führte das vielfach zu kompletten Namensgleichheiten über mehrere Generationen hinweg, was Ahnenforscher heutzutage vor besondere Herausforderungen stellt.
[3] Pyromanen aus des zonebattler’s Alterskohorte fühlen sich vielleicht wie dieser an die »Lady Cracker« erinnert, die es alljährlich zu Silvester anzukaufen und abzufeuern galt: Hundert(e) kleine Kracher in zwei Reihen, deren Lunten zu einem gemeinsamen Mittelstrang verflochten waren. Abstrahiert man die Mini-Böller zu Grundstücken und nimmt man den gemeinsamen Luntenzopf als Straße, hat man das maßstäbliche Muster einer Siebenbürgischen Ansiedlung vor Augen!
Montag, 3. Dezember 2018
Süßer und scharfer Senf: