Der Einladung eines derzeit dort lebenden und arbeitenden Freundes aus heimischen Gefilden folgend, machten sich der zonebattler und seine bessere Hälfte Anfang Juni nach (Süd-)Schweden auf. Knapp drei Wochen lang wollten wir im Hause unseres Gastgebers leben, uns dort nützlich machen und die Abende und Wochenenden zu gemeinsamen Unternehmungen nutzen.
Die U‑Bahn brachte uns von Fürth zum Nürnberger Flughafen, mit KLM Cityhopper hupften wir dann von dort erst nach Amsterdam und von da aus nach Linköping. Schon im Landeanflug auf den beschaulichen Linköping City Airport (mit immerhin je zwei planmäßigen Starts und Landungen pro Tag) war offensichtlich, daß Wald und Wasser bestimmende Elemente eines naturnahen Urlaubs werden würden:
Unser Freund empfing uns am Gate mit großem Hallo und dem Schlüssel des für uns bereits angemieteten Leihwagens. Der renngurkengewohnte zonebattler hatte seine liebe Not, sich in dem vergleichsweise luxuriösen Gefährt zurechtzufinden und dessen Motor überhaupt erst einmal anzulassen (nicht per Schlüsseldrehung, sondern per Knopfdruck). Immerhin hatte er dann auf der gut einstündigen Fahrt nach Grytgöl in der östergötländischen Flächengemeinde Finspång genug Gelegenheit, sich mit den Eigenschaften des ungewohnten Vehikels einigermaßen vertraut zu machen. [1]
Schon bald nach der Ankunft in des Freundes herrlichen Häuschen waren die Koffer geleert, die Klamotten verstaut, die Neugier auf Land und Leute groß. Auf ersten Spaziergängen und ‑fahrten erlebten wir quasi die Essenz des schwedischen Landlebens. Der mitunter zu plakativen Generalisierungen neigende Autor gewann dabei den Eindruck, daß – von regelbestätigenden Ausnahmen abgesehen – die schwedischen Häuser grundsätzlich rot gestrichen und die Autos sämtlich von Volvo fabriziert sind:
Die von Franken aus gesehen gut 1.500 km weiter nördlichere Lage merkt man unter anderem am Licht: Es wirkt auch im Hochsommer irgendwie herbstlich, da die Sonne flacher über dem Horizont steht und die Schatten daher selbst zur Mittagsstunde deutlich schräger fallen als daheim. Und natürlich ist es länger hell als gewohnt: Erst nach 23 Uhr wird es einigermaßen dunkel, und schon um vier Uhr in der Früh’ kann man ohne Lampe dem beginnenden Tag ins freundliche Antlitz sehen. Im Winter kehrt sich das Ganze dummerweise um, weshalb man hinter jedem Fenster mindestens eine stuben- und stimmungsaufhellende Leuchte stehen sieht...
Die langen Abende boten sich natürlich an zu ausgedehnten Spaziergängen ums Haus herum. Kein Verkehr, kaum Menschen, frische Luft und so gut wie keine zivilisationstypischen Geräusche: Da staunt der Städter, der daheim zwar kurze Wege und kulturelle Vielfalt genießt, aber eben auch die Schattenseiten des Lebens im Ballungsraum immer vor Augen (sowie in Nase und Ohren) geführt bekommt. Der zonebattler freute sich ferner über die zahllosen Motive am Wegesrand und wußte anfangs kaum, wohin er seine Kameralinse zuerst richten sollte.
In dieser Gegend des Landes nahm die Industrialisierung Schwedens einst ihren Anfang: Nach Eisenerz gegraben (und Kanonen gegossen) wurde hier schon vor Jahrhunderten. Alles dazu Nötige (eisenhaltiges Gestein, Holz und Wasserkraft) war ja reichlich vorhanden. Heute sind zahlreiche Überbleibsel von alten Industrieanlagen in pittoresker Umgebung zu bewundern, mitunter werden sie in ehrenamtlicher Arbeit erhalten und zumindest tageweise zu neuem Leben erweckt.
Apropos Leben: Nein, Elche haben wir (jedenfalls in freier Wildbahn) keine gesehen, die tappen ja gerne in der Dunkelheit herum und die nutzten wir zum Schlafen. Weniger bedauerlich fanden wir den Umstand, daß wir wenig bis gar nicht von stechenden Insekten heimgesucht wurden. Floraseitig überraschte uns die Entdeckung, daß so gut wie überall an den Straßen- und Waldesrändern (sowie in zahllosen Vorgärten) bunte Lupinen fröhlich vor sich hin blühten:
Diese Pflanzen gedeihen in Schweden dermaßen reichlich und üppig, daß der Berichterstatter sie hiermit für sich zum inoffiziellen Wappentier erklärt, vergleichbar etwa der Distel Schottlands. Übrigens war es gar nicht so einfach, ein paar prächtige Exemplare irgendwo auszubuddeln und in des Freundes Garten zwecks landestypischer Verzierung desselben wieder einzugraben: Die elend langen Pfahlwurzeln sind dermaßen miteinander verwachsen, daß selbst gute 80 kg Körpergewicht auf dem Spaten nicht ausreichen, das Gekröse umstandslos zu durchstechen...
Verweilen wir noch etwas im 250-Seelen-Dorf Grytgöl (das zweite »g« im Namen wird übrigens wie ein »j« ausgesprochen), dessen Einwohnerschaft sich in großzügiger Verdünnung über etliche Hektar Fläche verteilt. Massenmenschhaltung ist hier unbekannt, vielmehr lebt man luftig und uneingeengt, z.B. in alten Fabrikantenvillen:
Man muß natürlich dazusagen, daß Schweden im Vergleich zu Deutschland 90.000 Quadratkilometer mehr Fläche, aber nur 1/8 der Einwohner hat. Während sich also in der Bundesrepublik durchschnittlich etwa 230 Leute einen Quadratkilometer teilen, leben in Schweden nur 22 Menschen auf der gleichen Fläche. Aber auch dort wollen die meisten jungen und agilen Zweibeiner eher in den Städten wohnen, was sich auf die Immobilienpreise weiter draußen im Land merklich auswirkt: Für umgerechnet 100.000 EUR kann man ein schönes Häuschen mit mehr Garten drumherum bekommen, als einem womöglich lieb ist, aber dafür muß man halt zum nächsten Supermarkt unter Umständen mehr als 30 km weit fahren. Von der Pendelei zum Arbeitsplatz nicht zu reden.
Dafür findet man auf der anderen Seite der Medaille Ruhe und Frieden, und das ist natürlich auch was wert. Wald und Wasser sind quasi immer in fußläufiger Nähe, und ein Spaziergang entlang der Trampelpfade hat stets auch etwas Meditatives...
Denkt man an öffentliche Freibäder, hat man als Germane sofort eine kakophonische Geräuschkulisse aus Kindergeschrei, Wasserplatschern, Rufen und Fluchen im Ohr. Nicht so im schwedischen Hinterland: Jedes Kaff verfügt über Gewässer, die sich ohne großes Drumherum zum Baden und Schwimmen eignen (und zum Angeln sowieso).
Eine »Badeanstalt« besteht daher im Wesentlichen aus einem Stück gemähter Wiese, einem Umkleideschuppen, einem Steg, einem Rettungsboot nebst Rettungsring und viel, viel waldumstandenen Wasser. Hören tut man dort meist gar nix, denn mehr als eine Handvoll Dorfnixen ist in der Idylle gemeinhin nicht anzutreffen:
Ach ja... Beim Bebildern dieser höchst subjektiven Reise-Reportage befällt den Berichterstatter ein starkes Verlangen, sogleich wieder gen Schweden aufzubrechen. Er wäre auch jederzeit willkommen im Haushalt seines weiland Forchheimer (und später nach Fürth migrierten) Freundes, allein der Jahresurlaub ist vollständig aufgebraucht und die nächste Gelegenheit zum Flug in die Ferne böte sich damit allenfalls in der Betriebsruhe zwischen Weihnachten und Silvester. Aber dann sind die Tage dort droben im Norden kurz und duster und statt eines Mietwagens bräuchte man mindestens einen Schneepflug, wenn nicht gar einen Bergepanzer...
Zum Thema Spezialfahrzeuge sei hier noch erwähnt, daß die Schweden gerne alte Automobile sammeln: Namentlich klassische US-Straßenkreuzer stehen hoch im Kurs, und das, obwohl es hier in der Nachkriegszeit keine Besatzer gab, die mit derlei mondän gestalteten Spritschluckern publikumswirksam herumfuhren. Egal, der Benzin-Virus hat auch die Motorfreaks im neutralen Schweden befallen, und so sieht (und hört) man auch im entlegensten Hinterland immer wieder mal einen Amischlitten mit sonor blubberndem V8-Motor vorbeicruisen. Was nicht mehr fährt, wird auf dem eigenen Grund abgestellt, auch diese (Un-)Sitte scheint man von den Amerikanern übernommen zu haben:
Ob chromblitzendes Schlachtschiff, 90er-Jahre-Kombi oder alte Traktoren wie der oben gezeigte: Was immer ausgedient hat oder unfallbedingt nicht mehr aus eigener Kraft fahren kann, wird nicht etwa verschrottet, sondern an mehr oder weniger prominent sichtbarer Stelle vor oder hinter dem Haus dauerdeponiert. Der Besucher wundert sich darüber bis heute, denn er kann sich schwerlich vorstellen, daß ein ohne weitere Konservierungsmaßnahmen offen unter freiem Himmel endgelagertes Kraftfahrzeug jemals wieder erfolgreich instandgesetzt werden könnte: Sonne, Regen, Schnee und krasse Temperaturunterschiede dürften derlei Absichten von Jahr zu Jahr weiter unterminieren. Aber vielleicht ist das »Gras darüber wachsen lassen« in Schweden ja die deutlich billigere Alternative zur ordnungsgemäßen Entsorgung?
Mit diesem ersten Blick in die rätselhafte Mentalität der Schweden lassen wir es für heute bewenden. In der nächsten Folge machen wir uns in ein paar Tagen auf den Weg in eine größere Stadt und begeben uns anschließend auf eine Landpartie mit allerlei weiteren ungewöhnlichen Ein- und Ausblicken. Hej så länge!
[1] Wie so oft hatte ich nach der Heimkehr später das Gefühl, der eigene Wagen wäre durch Standschäden quasi unbenutzbar geworden: Lenkung und Pedale überaus schwergängig, die Bremse zwar verzögernd, aber doch deutlich träger. War natürlich wieder einmal nur eine Frage der (Um-)Gewöhnung...
Süßer und scharfer Senf: