Man kann es kaum glauben: Ein junger Immobilienmakler sucht für ein Buchprojekt alte Fotos seiner Heimatstadt Chicago und ersteigert zu diesem Behufe den wegen Zahlungsunfähigkeit der Mieterin unter den Hammer kommenden Inhalt eines Lagerabteils mit ‑zigtausend belichteten, aber überwiegend unentwickelten Filmen. Er läßt einige, dann immer mehr davon entwickeln und kommt langsam dahinter, daß die ihm unbekannte Fotografin in den 1950ern bis 1990er Jahren eine ebenso manische wie künstlerisch herausragende Lichtbildnerin gewesen sein mußte, die ihre meisten Schnappschüsse – sei es aus tragischem Geldmangel, sei es aus nach dem erfolgreichen Einfangen der gejagten Motive erloschenem Interesse – nie zu sichtbaren Bildern verarbeitet hat. Er beginnt selbst mit der Knipserei und der street photography, angeleitet und zusehends fasziniert von der in quantitativer wie qualitativer Hinsicht immensen Hinterlassenschaft der geheimnisvollen Frau, die ihm damals vom Auktionator als krank und schwierig beschrieben wurde. Als er – etwa ein Jahr nach dem Erwerb des gigantischen Filmkonvolutes – schließlich doch nach Vivian Maier googelt, um sie endlich persönlich kennenzulernen, findet er ... eine erst wenige Tage vorher aufgegebene Todesanzeige. Er kommt zu spät.
Der eher beiläufig erworbene Schatz erweist sich als so wertvoll und umfangreich, daß John Maloof den Beruf wechselt: Heute ist er selbst als street photographer unterwegs und hat sich zudem der Erschließung und Aufbereitung des künstlerischen Vermächtnisses jener großen, vorher der Welt gänzlich unbekannten Fotografin verschrieben. Man wird sich beider Namen merken müssen.
Dies war nur die Kurzfassung einer an erstaunlichen Zufällen reichen und trotzdem wahren Geschichte. In Gänze nachzulesen ist sie hier, hier, da und dort. Einen deutschsprachigen Zeitungsartikel darf ich aus urheberrechtlichen Gründen nicht zum Download anbieten, aber gute Freunde können sich privat an mich wenden...
Eine schier unglaubliche Geschichte.
Aber hab’ ich da nicht kürzlich eine ähnlich abenteuerliche Episode gelesen, nach der einer ebenfalls einen Packen Negative ersteigerte, die sich dann als unveröffentlichte Werke Anselm Adams herausstellten?
#1
Das kann gut sein, und wie es der Zufall will, hat mir Herr Gnu1742 gestern dazu den passenden Verweis geliefert!
#2
Herrlich. – Hab ich erwähnt, dass ich das herrlich finde?
#3
Äh, nein. Aber was? Die Story um Vivian Maier, die um die mutmaßlichen Fotos von Ansel Adams, den Umstand, daß ich meine Leserschaft darauf stuppse, oder noch was anderes, auf das ich gerade nicht komme?
#4
»Finding Vivian Maier« – So soll ein abendfüllender Dokumentarfilm heißen, den John Maloof (der zufällige Entdecker und jetzige Nachlaßverwalter des Maier’schen Œvres) produzieren will. Dazu braucht es (Spenden-)Geld, und wer das Projekt fördern mag, kann sich hier über die Details informieren...
#5
Pressespiegel: »Das Kindermädchen mit der Kamera« (einestages)
#6
Überdies gibt es derzeit eine Vivian Maier-Ausstellung in Hamburg.
#7
Selbst ein verschleimtes Hirn und eine feuchte Schniefnase können die visuelle Scharfsinnigkeit eines siechen zonebattlers nicht beeinträchtigen: Bei einem kleinen Stadtrundgang ist ihm heute im Schaufenster einer Fürther Buchhandlung der noch recht neue Bildband »Vivan Maier – Street Photographer« unter die tränenden Augen gekommen. Schon ein kurzes Durchblättern bestätigte mir, daß diese Frau wirklich eine außerordentliche »Seherin« war. Nicht minder treffsicher war meine aus dem Gefühl heraus getroffene Wert-Schätzung des komischerweise unbepreisten, sehr wertig gestalteten Bildbandes: EUR 39,80 sind zu berappen für dieses außergewöhnliche S/W‑Fotobuch.
#8
Pressespiegel: »Bilder einer konzentrierten Stadtgängerin« (FAZ.NET)
#9
Jetzt gibt es ihn also, den Film »Finding Vivian Maier«. Muß ich sehen!
#10