Heute hat der zonebattler einfach so blau gemacht, sich kurzerhand in die nur mäßig frequentierte Lederklasse des ICE 21 gesetzt und sich von Nürnberg bis Passau verwöhnen lassen, erstens durch den freundlichen Zugbegleiter, der Zeitungen und feine Schokoladen auf Kosten des rollenden Hauses offerierte (die Wahl fiel auf die F.A.Z. sowie auf Orange-Sanddorn-Geschmack), zweitens durch die schöne Aussicht, die ja schon ab Nürnberg-Sandreuth, erst recht ab Neumarkt (Oberpf), spätestens ab Parsberg und allerspätestens ab Regensburg ein Quell reinster Freude ist:
Wenn man sich dazu über die guten Ohrstöpsel Beethovens Sechste, die »Pastorale« mithin, aural verabfolgt, wird das musikalische »Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande« zum multimedialen Breitwand-Ereignis. Danach noch ein wenig in der Zeitung geblättert, ein weiteres Schokolädli auf der Zunge zergehen gelassen (Sauerkirsch diesmal) und schwupp, schon ist man in der altehrwürdigen Dreiflüssestadt und tritt aus der angenehm klimatisierten Blechwurst hinaus in die Schwüle des sonnigen Sommertages. Mit wenigen Schritten gelangt man in die nahe Innenstadt, wo neben den üblichen Allerwelts-Souvenirs auch regionaltypische Kopfbedeckung in reicher Auswahl feilgeboten wird:
Mit ihren engen Gassen, den pittoresken Häusern und den allerorten anzutreffenden, eingekübelten Palmen kann man der Altstadt südländisches Flair nicht absprechen. Etwas irritierend wirkt nur der örtliche Dialekt, der selbst den schönsten Töchtern der Region anhaftet und der auf den Auswärtigen einigermaßen befremdlich wirken kann. Doch ehe man lange darüber nachgedacht hat, steht man auch schon an der schönen blauen (bzw. eher blaugrünen) Donau...
Rasch wird die Landzunge schmal und schmaler, und bald schon steht der staunende Betrachter an deren Spitze, woselbst sich die dunklen Fluten der Donau mit dem rabenschwarzen Wasser der Ilz und beide sich mit der bräunlichen Pampe des Inns innig verquirlen und vermengen. Neben allerlei stampfenden Ausflugsschiffen mit beigebehosten Rentnergeschwadern an Bord paddeln auch gefiederte Leichtmatrosen unter elterlicher Aufsicht in der Melange herum:
Nach einer längeren Denkpause, wachdösend-blinzelnd nach Art der Eidechsen auf sonnenbeschienener Bank zugebracht, geht es im Zickzackkurs wieder zurück in das Labyrinth der Altstadt, in der es von barocken Kirchen nur so wimmelt. Deren allerprächtigste ist der Dom, der ‑wie leider so viele überkommene Zeugnisse sakralarchitektonischer Pracht- heutzutage von ganzen Horden handyhaltender und kompaktknipsenfuchtelnder Idioten beiderlei Geschlechts bevölkert wird, die mit grellem Geblitze die Empfindlichkeit der Kunst mißachten und ihre Unfähigkeit zum adäquaten Umgang mit Kulturschätzen wie auch den eigenen Gerätschaften weithin sichtbar dokumentieren, ohne es selbst überhaupt zu bemerken, geschweige denn zu begreifen...
Drum also hurtig wieder nach draußen geschritten, wo sich die Ignoranten und achtlosen Deppen meist nicht auf den ersten Blick als solche ausweisen. Inzwischen freilich steht die Sonne hoch im Zenit, und außerhalb der engen, schattenspendenden Gassen ist es hochsommerlich warm, ja nachgerade brütend heiß geworden. Kein Wunder, daß sich da kaum noch jemand ungeschützt dem prallen Sonnenlicht aussetzen mag:
Doch Abkühlung ist alle paar Schritte zu haben, sei es in flüssiger, sei es in halbfester, in jedem Falle kalorienreicher Form. Und auch hier gibt es welche, die durch ihre zivilisationsmülligen Hinterlassenschaften bekunden, daß ihnen das eigene Plaisier alles und die Ästhetik ihres Umfeldes rein gar nix bedeutet...
Irgendwann sind Bauch und Birne voll, und so tapert man denn wieder zurück zum Bahnhof. Bis zum anvisierten ICE gen Nürnberg ist es zwar noch eine Stunde hin, aber die könnte man ja im Schatten des Bahnsteigdaches mit der Lektüre eines antiquarisch erworbenen Buches sinnreich verbringen. Indes, die Wartezeit fällt kürzer aus als erwartet, denn der Vorläufer-ICE aus Wien von eigentlich zwei Stunden vorher läuft bald mit 80-minütiger Verspätung ein, die, wie der Zugchef später süffisant verkünden wird, zu Lasten der ÖBB gingen und mithin keinen Anspruch auf Verspätungsgutscheine der DB begründeten... Hätte man als dem Service-Gedanken verpflichteter Dienstleister vielleicht etwas dezenter ausformulieren können, aber das sagt sich leicht, wenn man nicht selber in der Situation ist, mit dem vielfältigen Folgestreß einer derartigen Verspätung fertigwerden zu müssen.
Mir kann’s nämlich egal sein, ich muß ja nur zwei Stationen weiter bis nach Nürnberg und nicht auf andere Fernreisezüge umwechseln. Auch rückwärts vergeht die Zeit im Zuge wie im Fluge, diesmal zwar ohne Schokolade, dafür aber mit der Süddeutschen Zeitung und angenehmen Mitreisenden. Und schon hat mich die Heimat wieder. Gemütlich kurz nach 7:00 Uhr aufgestanden, vor 18:00 Uhr schon wieder zurück, dazwischen mehr Eindrücke, als in Echtzeit zu verarbeiten wären: Ein prallvoller Tag!
Süßer und scharfer Senf: