Wieder in Frankreich angelandet, strebten wir latent heimwärts unter Anvisierung der folgenden noch zu besichtigenden oder kurz heimzusuchenden Etappenziele: Cap Blanc-Nez – Wissant – Cap Gris-Nez – Boulogne sur Mer – Le Touquet – Abbeville – Amiens – Roye – Noyon – Le Plessis-Brion – Compiègne – Pierrefonds – Soissons – Laon – Reims – Châlons-en-Champagne – L’Épine – Verdun – Metz – Idar-Oberstein – Meisenheim (Glan) – Rüsselsheim – Veitshöchheim, wobei die letztgenannten vier Stationen natürlich schon wieder in Deutschland zu verorten sind.
Als unerwartet schwierig gestalte sich tatsächlich der Versuch, den in England fast leergefahrenen Kraftstofftank des Einsatzwagens auf französischem Boden wieder vollzukriegen: Viele Tankstellen haben zwar 24 Stunden pro Tag geöffnet, arbeiten aber ohne jegliches Personal. Die automatischen Zapfsäulen wiederum mochten unsere ansonsten weltweit allerorten problemlos funktionierenden VISA-Karten nicht akzeptieren. Letztlich kamen wir nur dank der Unterstützung eines freundlichen Monsieurs zum dringend benötigten Sprit, der mit seiner Karte die Pumpe bediente und dafür von mir Bargeld in die Hand gedrückt bekam. Man recherchiere in einschlägigen Foren, in diese landestypische Finanzierungs-Falle tappten schon viele andere Touristen vor uns...
Doch weiter zu des Landes bekannteren Spezialitäten: Die Franzosen stellen vor allem weiche Käsesorten und gothische Kathedralen her, letztere in deutlich weniger Variationen, dafür von erheblich längerer Haltbarkeit. Des zonebattler’s bessere Hälfte kann ohne weiteres ein Dutzend Gotteshäuser pro Tag verdauen, er selbst allenfalls deren drei oder vier, dann läßt er die Schultern hängen und kann die Kamera nicht mehr gerade halten:
Sehr nett ist die Idee, die großen Kirchenschiffe außerhalb der Gottesdienstzeiten aus den ohnehin vorhandenen Säulenlautsprechern dezent mit angemessener Musik zu beschallen, also beispielsweise mit mittelalterlichen Messen oder Madrigalen. Gar komisch wird einem freilich zumute, wenn auf einer Seite die Boxen phasenverkehrt angeschlossen sind und sich dann statt innerer Erhebung rasch innere Mulmigkeit einstellt...
Im Norden Frankreichs sind die Erinnerungen an den »Großen Krieg« allgegenwärtig, womit sie dort freilich keineswegs die temporäre Unterwerfung durch die Deutsche Wehrmacht von 1940 bis 1944 meinen, sondern den ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918, der im kollektiven Gedächtnis der Deutschen schon recht verblaßt zu sein scheint. Das nachwirkende Trauma ist freilich verständlich, denn das apokalyptische Massensterben im weitgehend stationären Stellungskrieg fand ja überwiegend im nahen Flandern und auf französischem Boden statt. Der Norden des Landes ist denn auch übersäht mit Gedenkstätten und Soldatenfriedhöfen mit Gefallenen (aus beiden Weltkriegen).
Zweimal hat Deutschland im letzten Jahrhundert unsägliches Leid über seine Nachbarn gebracht, da gibt es nichts zu beschönigen und auch nichts zu vergessen. Den mittlerwile in Zentraleuropa herrschenden Frieden auf Dauer zu bewahren ist eine Aufgabe, die wir den elend krepierten Opfern aller Nationen schuldig sind...
Am Morgen nach der letzten Übernachtung im ehemaligen Feindesland habe ich die Kamera himmelwärts durch das Glasdach unseres mobilen Bettes blicken lassen:
So schön und mitunter sogar idyllisch das Leben auf Achse auch zeitweise ist (die Übergriffe krimineller Subjekte mal außen vor gelassen), nach gut zwei Wochen sehnt man sich nach einem richtigen Bett unter der Wirbelsäule, und auch eine funktionierende Dusche mit Einhebel-Mischbatterie ist letztlich komfortabler als so ein Plastikkanister mit tagsüber sonnenerwärmten Brauchwasser. Und dennoch: Die von uns präferierte Art des wilden Campens (bei der wir nie mehr in der Landschaft zurücklassen als Reifenspuren und organisch abbaubare Stoffwechselprodukte) ist eine sehr beglückende, da erdende und naturnahe. Mit Geiz hat das nichts zu tun, was wohl jede(r) Gleichgesinnte bestätigen wird...
Den Bogen schließen möchte ich (wie in der zweiten Folge angekündigt) mit ein paar Bemerkungen zur Reisefotografie: Wer eingermaßen ästhetische und formale Ansprüche an die Kunst des Abbildens stellt, läuft schnell nur noch mit dem »Sucherblick« durch die Gegend und verdirbt sich über Fragen der Bildgestaltung den Genuß des Augenblicks. Zudem trifft man auf Reisen häufig zu Zeiten hohen Sonnenstandes und ergo bei unvorteilhafter oder unspektakulärer Beleuchtung bei jenen Sehenswürdigkeiten ein, die (am frühen Morgen oder späten Nachmittag aufgenommen) in Bildbänden oder auf Postkarten so unerhört viel plastischer und fotogener wirken. Aus diesen Gründen lasse ich die Kamera mittlerweile oft stecken und fotografiere nur hin und wieder ein paar Details (oder mache gelegentliche Belichtungsreihen für spätere HDR-Experimente). Die rein persönliche Funktion von Reisefotos, nämlich das nachhaltige Verankern von Erinnerungen für ein späteres Wiederauflebenlassen, konnte ich inzwischen weitgehend an meinen im ersten Teil vorgestellten GPS-Tracker delegieren. Auch wenn der von Google Earth gewährte Blick aus der Vogelperspektive nicht immer ganz aktuell und nicht überall hoch aufgelöst ist: Die später fast auf den Meter genau nachvollziehbare Reiseroute erfüllt den genannten Zweck hervorragend und ermöglicht einem einfacher und besser denn je, die eigenen Expeditionen nochmals im Geiste hautnah zu erleben...
Epilog:
An einem Samstag Abend wieder in Fürth angekommen, liefen wir sofort unseren homezone-nahen Discounter an, um Frischmilch und andere Lebensmittel für den leeren Kühlschrank daheim zu bunkern. Doch was erspähte ich sogleich auf den Milchpackungen, sogar jenen der ausgewiesenen Bio-Variante? Jetzt länger haltbar ohne Geschmackseinbußen. Ja von wegen! Mein weißes Lebenselixier rangiert jetzt sensorisch irgendwo zwischen Frischmilch und H‑Milch, der »Vorteil« der längeren Haltbarkeit nutzt allein der Lagerlogistik, aber nicht dem Verbraucher. Kaum ist man mal weg, krempelt der Handel das Sortiment klammheimlich um. Ihr Schurken, ihr elenden Schufte, wenn ich Euch erwische, lasse ich euch in H‑Milch ertränken!
Summa summarisch ...
... herzlichen Dank summa cum laude für Deinen interessanten und appetitlich aufbereiteten Reisebericht !
Im Übrigen bestätige ich hiermit unaufgefordert als Gleichgesinnter die oben gemachten Aussagen bzgl. der gewählten Reisemodalität. Bzgl. des Glasdaches könnte man allerdings schier neidisch werden ...
#1
Den Worten...
...meines Vorredners kann ich mich anschließen. Auch von mir vielen Dank für den in gewohnt hervorragender Weise dargebrachten Bericht.
Trotz der angesprochenen Widrigkeiten bei der Reisefotografie (die wir ja auch bei der letzten Tafelrunde besprochen haben), sei Dir an dieser Stelle noch mein Respekt für das schiefe (Kirchen-)Schiff gezollt. Toller Effekt. Gefällt mir ausnehmend gut.
Viele Grüße aus der Nachbarstadt,
Tobi
#2
Schöner Bericht
Eine kleine Anmerkung zur GPS-Aufzeichnung: So toll sie ist, aber kommt man sich da nicht auch irgendwie »beobachtet« vor? Macht man dann z.B. noch kleine Abstecher von der geplanten Route, wenn man weiß, dass alles aufgezeichnet wird, wenn auch nur für den privaten Gebrauch?
#3
Die GPS-Aufzeichnung ist überhaupt kein Problem, faktisch vergißt man den kleinen Positionsrekorder und schert sich nicht weiter darum. Jemand anderes kann mit den Tracks wenig anfangen, selbst wenn man sie aus der Hand geben würde: Zu sehen ist ja nur das wann und wo, nicht aber das was und warum!
#4
Zu dieser Artikelreihe gibt es eine eigene Bildergalerie auf »Licht-Bild-Schau«.
#5