Gerd Gaiser: Die sterbende Jagd (Kapitel 23)
Hinab! Sie suchten einander. Sie suchten einer den andern auf und zerstörten sich. Sie luden sich auf mit Tonnen von Treibstoff und mit Tonnen von Sprengstoffen, um einander in Stücke zu blasen. Lauter teure Tote, der Tod kostete viel. Niemand kann für Lebendige so viel ausgeben. So hohe Kosten rechtfertigt allein der Krieg. Hinab! Wer stark ist, zerfetzt den andern. Hinab. Immer mehr hinab und herunter. Wer hinab ist, kommt nicht wieder herauf.
Der Unteroffizier Mahn kam auf Position, drückte an und schoß, er legte vor sich eine Feuerstraße, die sein Gegner, ein Jäger, schneiden mußte. Davorhalten, dachte er und hörte den alten Gritzner, der sagte mit seiner grunzenden Stimme: »Halt ihm vor die Schnauze, das ist meine Tour, laß ihn hineinfliegen.« Im spitzen Winkel wuchsen sie aufeinander zu, drüben ein Fleck auf den Blechen, ein Fleck auf die saubergefegte Flanke hingerotzt und vorher nicht dagewesen; er spürte den Schweiß ausbrechen in Lenden und Achseln und setzte zum Schrei an, da hörte er plötzlich, was in der Kopfmuschel plärrte und schon vorhin dagewesen war, oder was heißt vorhin, einen Bruchteil von eines Atemzugs Länge: der andere Schrei, der ihn warnte; aber schon war der Segen über ihm. Es schmetterte von schräg hinten in seine Kabine, beutelte ihm den Kopf und bog ihn. Oh Leben, all das Dröhnen und Bellen ging in ein hohes Sirren über wie von Zikaden, betäubend, den Atem zerstörend, in der Mittagstille, auf dem Monte Pincio über Rom, betäubend wie Äther, die Mittagszikade, jetzt sah man das Sirren farbig, Ringe von irisierendem Licht, elastische, bis zum Springen beanspruchte Ringe aus feinem metallischem Stoff, Ringe, ins Milchweiße mündend, und dann träger rotierende Scheiben, und dann das Sirren wie unter seidenen Kissen erstickt.
Ein Feldwebel namens Lutz, siebente Staffel, taktische Nummer Elf, sah den Vorgang mit an. Merkwürdig, jetzt fingen die beiden Flugzeuge zu klettern an, dann schlug zuerst aus dem fremden Flugzeug die Flamme, es schmierte seitwärts über eine Fläche hinab. Die eigene Maschine flog noch einen Augenblick länger, dann schien sie überzogen zu stehen, und dann tauchte sie mit der Spitze vornüber und fiel eine Strecke weit durch wie ein Stein. Jetzt fing sie sich, schwang pendelnd um eine senkrechte Achse, trudelte und ließ ihre Flächen blitzen. Jetzt war sie schon sehr klein, ein Spielding, tot, zerbrechlich und zart, sie schob wie ein Falter vorm Wind schräg über eine samtgrüne Fläche, ein Feld von Luzernen, ein Kiefernwäldchen, vielfingerig wie ein Handschuh, das in grauen Sand auslief, und dort war jetzt der Schatten aufgetaucht und rann dem stürzenden Flugzeug sehr rasch entgegen. Das währte noch einen Augenblick, dann die Stichflamme, eine Brunnensäule von Dreck, die einen Augenblick stand und sich fein zerteilte und kreisförmig auseinandersank.
Lutz drehte den Kopf fleißig, denn er hatte niemand mehr hinter sich. Einen Augenblick war der Raum leer, die Leere der Schlacht, die Stille zwischen zwei Atemzügen, er hatte die Schlacht aus dem Gesicht verloren, die Schlacht hatte ihn ausgespuckt. Bläue oben und unten, ein paar Wölkchen tief drunten kraß und flott über ihren Schatten. Die Zeiger am Instrumentenbrett, leicht wie Geisterzungen. Sacra conversazione. Das tiefe Gedröhn, das Dröhnen der blauen Muschel; die Muschel dröhnte um ihn, süßer Gesang, Welt süß und dröhnend, das Muschel-Lied. Dann kehrte er jäh zu sich selbst und sah alle drei Pulks fast auf einen Schlag.
Er sah eigene Jäger, anscheinend eine Staffel, alle mit gelben Nummern, also die Neunte, aber nur sieben Flugzeuge, ein Schwarmkeil voraus und dann abgesetzt drei Maschinen in Reihe fliegend. Dann sah er zweitens einen anderen Jagdverband, und das waren keine eigenen Jäger, viele Punkte, giftig und mückenklein und so hängend, daß sie sogleich auf diese Staffel zu stoßen vermochten. Sprechverkehr hörte er nicht, aber er sah, daß die gelben Nummern geradeaus weiterzogen. Offenbar kümmerten sie sich nicht um den Pulk, der sich über ihnen befand. Und deshalb, ohne eine genaue Verknüpfung seiner Gedanken, so wie der Anblick der Todesverachtung einen Sog ausübt, hielt der Feldwebel Lutz Kurs auf diese Staffel. Und jetzt sah er drittens, daß diese Maschinen ihrerseits schon im Angriff lagen. Sie flogen geradeaus gegen einen schweren Pulk. Das ging alles sehr schnell, die Geschwindigkeiten fraßen einander weg, Feuerschläge, aufreißende Lichter vorne und rechts und links, Lichtgestöber, Lichtstöße oben und unten; wie in der Schmiede, in der brüllenden Schmiede mitten darin, sie fielen und ließen sich fallen, zerstoben wie Funken im Sturm, keiner sah mehr den andern, zwei schleiften weiße Fahnen, Lutz selber brannte, eine Flamme leckte ihn an und war weg wie eingehaucht, dann spie es wieder, spie wie Flammengebläse und rußte ihn an. Sofort schoß er die Kabinenhaube ab, riß Haube und Gurte auf und wand sich halb erstickt auf den Bordrand.
Der Fahrtwind umschlang ihn brüllend, fegte ihn ab, nahm den Atem, es gurgelte in seiner Kehle und schnitt ins Gedärm, seine Hände wehrten sich, sie kamen nicht nach, dumme Hände, die sich wehrten und nicht losließen, wo es darauf ankam loszulassen; dann war der Druck mächtiger und legte ihn um. Eine Schwinge schoß an ihm vorbei, ein furchtbarer Streich, der ihn fehlte. Dann er selbst ein Bündel in der Luft, schlenkernd, den Mund voll Druck, und dann krampfhaft die Beine angekrümmt wie ein Kind in der Mutter, ein Kind in der großen Muschel, koppheister und noch einmal hei, noch einmal himmelan und auf und hinan zu der lustigen Erde, mit dem dicken Kopf schwappend voll Blut und den fließenden Augen, mit dem Salzwasser die Wangen herab, himmelan und die himmlischen Heerscharen auch dabei, Friede auf Erden und allen die guten Willens sind. Den Menschen ein Wohlgefallen, die Erde so weit und so lustig grün. Eine Fabrik so spaßig wie aus der Spanschachtel, eine Fabrik, kenternd und noch einmal ganz herum, und dann in der Luft Blasen, Blasen wie Glaskugeln, anmutige Verneigung der Kugeln, und noch einmal ganz herum. Er wußte bis dahin von seiner Hand nichts. Seine Hand arbeitete, er und seine Hand, das waren wieder zwei Dinge, und die Hand war besonnener als der Feldwebel Lutz. Sie hatte den Griff gerissen. Sein Körper empfand den Ruck, als das Öffnen des Fallschirms einsetzte, einen Ruck und noch einen. Es zerrte und stieß, aber jetzt war der Sturz gebändigt. Die Kraft nahm zu, die über dem Sturz sich ausgefaltet hatte. Wohlgefällig, halb betäubt sah Lutz das weiße Segel über sich aufgebläht, das flüsternde Seidenzelt. Es war eine Kuppel, und die Kuppel hütete ihn. Sie gab ihm nach und ließ ihn spielen. Er schwang wie ein Kind in den Turnringen. Es war ihm, als schwebe er aufwärts, obwohl er noch immer mit sieben Sekundenmetern stürzte. Und jetzt auch verspürte er eine Zugluft an seinem linken Bein. Er sah an sich hinunter und sah seinen Fuß in der grauen Wollsocke, den Fuß über der Erde. Er hatte im Aussteigen den einen Pelzstiefel eingebüßt. |
Süßer und scharfer Senf: