Der Herr Ruppi 1979 weist uns freundlicherwiese darauf hin, daß unser schönes Fürther Stadttheater keineswegs einmalig ist, sondern tatsächlich (mindestens!) ein zweites Mal in der Landschaft steht, und zwar im ukrainischen Tschernowitz:
Stadttheater Fürth i. Bay. [Bildnachweis] |
Stadttheater Tschernowitz [Bildnachweis] |
Was auf den ersten Blick verblüfft und verwundert, ja sogar einen Plagiats-Verdacht aufkommen läßt, ist in Wirklichkeit ein Exempel schlauer Aufwandsminimierung: Das Wiener Architekturbüro Fellner & Helmer war in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg auf solche Theatergebäude spezialisiert und seinerzeit am Bau von vier Dutzend eindrucksvoller Spielstätten beteiligt. Mit sich bereits andernorts bewährt habenden Plänen und Konstruktionen konnte man natürlich jeden Mitbewerber leicht & lässig unterbieten und rasch zum Quasi-Monopolisten aufsteigen...
Den auftraggebenden Kommunen werden die beachtlichen Einsparpotentiale sicher ganz recht gekommen sein, waren doch bei den großen Entfernungen zwischen den jeweiligen Zwillingsbauten Reputation und Ehre kaum gefährdet. Schwer vorstellbar freilich, daß ein kostenbewußter Bauunternehmer den Fürthern und Nürnbergern den gleichen Entwurf hätte schmackhaft machen können!
Pate in Paris
Mit unserem Theater und jenem in Czernowitz tauchte kurzzeitig ein Novum im Schaffen von Fellner&Helmer auf: Ein dominierender Portalbogen, der nicht einem Giebel oder anderen Elementen untergeordnet ist, wie bei einigen Vorgängerbauten. Zufall? Wohl kaum: Von der Epoche der Impressionisten bis etwa zu Beginn des Zweiten Weltkrieges war Paris die Welthauptstadt der Kunst, und seinerzeit verstanden sich die Architekten noch als Künstler. Die Pariser Weltausstellung war in Europa das gesellschaftliche Ereignis nicht nur des Veranstaltungsjahres 1900, ein architektonischer Höhepunkt dort war das neobarocke Petit Palais (1897- 1900) von Charles Girault mit seinem markanten Bogenportal, mithin ein Hauptwerk des späten Historismus. Die Ähnlichkeit der Konzeption ist frappierend.
Unser Stadttheater ist aufgrund seiner Bezüge ein durch und durch europäisches Theater mit einem Paten in Paris, einem Zwilling in Czernowitz und einem weiteren Geschwister in Gera sowie vielen weiteren Verwandten zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee, zwischen der Donau und der Spree in Dutzenden Städten. Weiterhin ist unser Theater ein Exponent einer lange Zeit geradezu verfemten Stilrichtung: Vielfach wird der Historismus, der Fürth so durchgehend prägte, geringschätzig betrachtet, weil er kein eigener Stil sei und nur Vergangenes kopiert habe. Aber was kam danach: Anfang des 20. Jahrhundert wurde die Parole „Ornament ist vergeudete Arbeitskraft und damit vergeudetes Kapital“ ausgegeben. Dem „Stilchaos“ des Historismus folgte der Funktionalismus, die so genannte Moderne Architektur: ein Fortschritt? So gesehen, könnte man den Historismus als letztes Aufbäumen der Ästhetik gegen die Technokratie, dem Funktionalismus interpretieren, wovon unser Theater ein beredtes Zeugnis ablegt.
#1
Interssanter Bericht Hr. Dr. Mayer. Vielen Dank....
#2
Pressespiegel: »Die Stadt der toten Dichter« (FAZ.NET)
#3
Pressespiegel: »Ein Rathaus im Doppelpack« (FN)
#4
So ganz mag man dem Verfasser des Artikels das mit dem Doppelpack der Rathäuser doch nicht abnehmen, haben die Gebäude doch eine durchaus unterschiedliche Historie und unterscheiden sich mannigfaltig in der Interpretation des florentiner Stils. Ein Leckerbissen für die Augen sind sie trotzdem allemal, so wie es in der Regel auch florentiner Gebäck für Gaumen, Herz und Magen ist, wo und mit welchen Anweichungen vom Original es auch immer gebacken wurde !
#5
Pressespiegel: »Ukrainischer Zwilling« (FN)
Im letzten Absatz irrt der Autor: Die Architekten Fellner und Helmer haben weiland nicht nur theatralische Zwillinge, sondern (mindestens) Vierlinge hinterlassen: Im polnischen Torun (Thorn) sowie im rumänischen Cluj stehen weitere Theaterbauten, denen die Verwandtschaft zum Fürther Exemplar ins Gesicht geschrieben (resp. gemeißelt) steht.
Dank an Ruppi1979 für den Hinweis!
#6