Als vor dem Krieg der beschauliche Ludwig-Main-Donau-Kanal noch dort existierte, wo heute der brüllend laute »Frankenschnellweg« Nürnberg, Fürth und Erlangen verbindet, da war der Fürther Vorort Kronach ein beliebtes Ausflugsziel: Scharen von Nürnbergern und Fürthern fuhren am Wochenende mit einem der weißen »Schlagrahmdampfer« dort hinaus, um sich im Gasthaus Weigel den Bauch vollzuschlagen und im Übrigen den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Jener aber hatte längst einen überaus schlechten Mann hernieder geschickt, der mit seiner Prophezeihung »Ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen« wenig später auf fatale Art und Weise recht behalten sollte...
Aber zurück zur Spurensuche im Kleinen. Der von heimatkundlichem Forscherdrang beseelte zonebattler hat Kronach dieser Tage visitiert und den Gasthof Weigel dergestalt vorgefunden:
Das schaut zwar halbwegs altfränkisch aus, doch weist drinnen ein Willkommensgruß der derzeit diensthabenden Generation der alteingesessenen Betreiberfamilie ehrlicherweise darauf hin, daß man von der alten Substanz nicht allzuviel habe erhalten können. Diese sieht auf einer schon im Jahre 1930 gelaufenen Postkarte einigermaßen spektakulär aus:
Wirkt das nicht ungemein modern? Reinster Bauhausstil, möchte man meinen. Und das mitten im alles andere als avantgardistischen Fürther Umland!
Wenn man heutzutage den Komplex umrundet, sieht man auf dessen Hinterseite in einem Konglomerat aus Schuppen, Anbauten und gestapelten Gütern diesen Saalbau stehen, der sehr wohl das überkommene Relikt jener auf Klarheit und Sachlichkeit bedachten Architekturepoche sein könnte:
Irgendwie scheint mir das aber hinsichtlich der Orientierung zu Kanal (damals) bzw. Autobahn (heute) nicht ganz plausibel übereinzustimmen. Ist das nun der gleiche Baukörper, der auch auf der alten Ansichtskarte zu sehen ist? Die Ähnlichkeit ist unverkennbar, aber zumindest die Lage der Fenster an der Stirnseite würde nicht mehr dem Originalzustand entsprechen. Ich wäre wirklich sehr dankbar, wenn ein(e) Kundige(r) aus der Leserschaft hier in einem ergänzenden Kommentar Erhellendes dazu beitragen könnte...
Adlerblick
Meine bessere Hälfte hatte die entscheidende Idee: Ein Luftbild klärt die Situation schnell und schlüssig! Der modernistische weiße Bau ist bzw. war wohl tatsächlich derjenige, der auf der alten Postkarte zu sehen ist. Hier der Blick von oben mit der von mir eingezeichneten, mutmaßlichen Begrenzung des Biergartens um 1930:
Für die hier vorgesehene(n) Abbildung(en) konnten nicht alle eventuell tangierten Lizenz- und/oder Urheberrechtsfragen mit letzter Gewißheit geklärt werden, weshalb auf eine kenntliche Darstellung leider verzichtet werden muß.
Norden (Richtung Erlangen also) ist links im Bild. Unten ist die A73 (also der Frankenschnellweg) zu sehen. Damals befand sich an dieser Stelle noch der Kanal.
#1
Zeitreise
Zur Abrundung und Ergänzung des Beitrages hier noch ein Anblick vom Garten her:
Aufgenommen Anfang August diesen Jahres, zeigt das Bild unverkennbar den schmalen Fensterschlitz des architektonisch kühnen Saalbaus (in der Abbildung auf der alten Postkarte oben links).
Bei der Gelegenheit kam ein interessantes Gespräch zustande: Herr Weigel senior (der die Wirtschaft längst an Dritte verpachtet hat und selbst seinen Ruhestand genießt) sah den zonebattler mit seiner Kamera herumfuchteln, kam daraufhin zu einem Schwatz an den Zaun und erzählte schlußendlich die hochgradig spannende Geschichte des bekannten Ausflugslokales: Wie sein Vater weiland nach Wien gereist war, um die dortigen Kaffeehaus-Gebräuche zu studieren zwecks Transplantation und Einführung derselben im heimischen Fürther Umland [1], wie man vor dem Krieg den Sonntags-Gästen zwecks Kundenbindung einen kostenlosen Hinfahrschein für einen Werktag [2] für die hauseigene »Schlagrahmdampfer«-Flotte auf den Teller legte, wie er selbst knapp vor Kriegsende noch als Minderjähriger eingezogen wurde, aber glücklich davonkam und aus der (kurzen) Kriegsgefangenschaft vom Allgäu her heimlief (das letzte Stück immer am Kanal entlang), wie die Amerikaner erst das Anwesen requiriert und die Familie in eine alte Scheune eingewiesen hatten, wie nach dieser Episode sein Bruder und er (Metzger und Konditor) sich die Arbeit beim Wiederaufbau des Betriebes teilten, wie an schönen Wochenenden an die 20 Kellner flitzten und hunderte Liter frischer Sahne zu Schlagrahm verarbeitet wurden und wie die angestrebte Wiederaufnahme der Schifffahrt mit neuen Booten nach dem Kriege leider am durch Bombentreffer leckgeschlagenen Kanal scheiterte...
Und wie man es letzlich doch durch alle Unbilden der Zeiten zu einem gewissen Wohlstand brachte, ist der Chronist versucht zu ergänzen. Denn immerhin, so seine hier im Exkurs angeführte Privatmeinung, ist man dort drüben im ländlichen Kronach vergleichsweise glimpflich durch jene dunklen zwölf Jahre gekommen, die 1000 hätten werden sollen: Zahllose andere hatten (auch in Fürth) weit weniger Glück und kamen nicht durch An- und Übergriffe der Kriegsgegner zu Schaden, sondern fielen schon viel früher dem Terror der eigenen Landsleute zum Opfer. Beispielsweise.
Das Ende der Geschichte ist bekannt: Die staatlich verordnete Abtretung der nötigen Ländereien zum Bau der A73 spülte den Anliegern zunächst ordentlich Geld in die Schatulle und später den pausenlosen Verkehrslärm nebst dazugehörigen Abgasen in die Bude. Freiluft-Romantik findet dort heutzutage nurmehr der, der fantasiebegabt ist und einigermaßen weghören (und wegriechen) kann...
[1] »Best Practice« würden die smarten BWL-Schlipse sowas heutzutage nennen.
[2] Auch für derlei schlaue Schachzüge kennt die moderne Betriebswirtschaft sicher einen (englischen) Fach-Terminus. Irgendwas in Richtung Customer Care Concept, würde ich mal vermuten.
#2
Pressespiegel: »Neue Pächter für alten Dampfer« (FN)
#3