Am morgigen Sonntag wird im Fürther Jüdischen Museum eine Ausstellung über die Unternehmer und Mäzene Berolzheimer (allesamt in der Tat große Söhne der Stadt) eröffnet. Die Fürther Nachrichten berichten heute unter dem Titel »Noble Gesten eines großherzigen Clans« von dem sicherlich sehr sehenswerten Event. Eine im Artikel aufgestellte Behauptung kann ich freilich nicht unkommentiert und schon gar nicht unkorrigiert so stehenlassen:
Die aufregende Suche nach Heinrich Berolzheimer und seiner Familie führte zum Beispiel »zwischen die Büsche« im Schulgarten des Stadtparks. Dort entdeckte man einen pausbäckigen Knaben mit Lockenkopf, der, in ein Buch vertieft, einst den Giebel des Berolzheimerianums krönte. In den 50er Jahren kam Josef Köpfs Betonwerksteinfigur an ihren grünen Standplatz – und wurde fast vergessen, bis die Kuratorinnen sie nun dank alter Fotos wiedererkannten. |
Das ist ‑mit Verlaub- grober Unfug: Noch zu ihren aktiven Zeiten wies die ehemalige Stadtheimatpflegerin Barbara Ohm in ihren Stadtparkführungen auf die Herkunft des steinernen Knaben hin. Ich selbst habe die Figur schon im April diesen Jahres hier in diesem meinen Blog gezeigt und auf den Ursprung verwiesen. Das also jetzt als spektakuläre Entdeckung und Neuigkeit zu verkaufen bedeutet die Leser zu verarschen mit einem pittoresken Märchen einzulullen...
Nun mag man einwenden, daß mündliche Aussagen hier und ein recht pseudo-wissenschaftlich daherbloggender zonebattler da keine ernstzunehmenden Quellen sind. Nun denn, dann verweise ich noch auf das Standardwerk über Fürth schlechthin (Habel, Heinrich: Stadt Fürth (Reihe Denkmäler in Bayern), Karl M. Lipp-Verlag, 1994 (!), S. 386) sowie auf Barbara Ohm: Durch Fürth geführt, Band I, 2. Aufl., Grafische Werkstätte Graf, 2001, S. 189. Da steht die Herkunft der Statue für jedermann (und jedefrau) seit Zeiten nachzulesen.
Wer nun hier gegen elementare Grundsätze des Recherchierens und Publizierens bewußt oder unbewußt verstoßen hat (Artikel-Autorin hier, Kunst-Kuratorinnen dort) und ob dies aus Faulheit, Sensationslust, Naivität oder sonstwas heraus geschah, das weiß ich nicht und das zu beurteilen maße ich mir auch nicht an... Aber Legendenbildung bei klarer Befundlage gehört gnadenlos angeprangert: Nehmt euch ein Beispiel an der Ernsthaftigkeit des »lesenden Knaben«!
Anhand der Formulierung ...
... dass man »einen pausbäckigen Knaben mit Lockenkopf« entdeckt habe, lässt sich jener tiefschürfende Journalismus erkennen, der auch das gesegnete Alter eines 100-jährigen dem regelmäßigen Genuss des roten Weines zuschreibt, nur weil jener rüstige Recke die Frage, ob er gerne Wein trinke, nicht energisch verneint hat !
#1
Trotz und alledem ...
... bin ich dem zonebattler dankbar für den Hinweis auf das Lebenswerk des vor gut 100 Jahren verstorbenen Kommerzienrats Heinrich Berolzheimer, über den einiges Wissenswertes in der vom jetzigen Fürther Stadtheimatpfleger Dr. Alexander Mayer online veröffentlichten Käppner-Chronik nachzulesen ist.
Das Berolzheimerianum selbst wurde ja am 26. Mai 1906 wenige Wochen nach dem Tod seines Initiators eröffnet, und es sei mir angesichts des Berufes sowie der Lage des Schrebergartens unseres zonebattlers an dieser Stelle ausnahmsweise vergönnt, aus der o.g. Chronik schmunzelnd wie folgt zu zitieren :
Nachdem das Nichtanhalten des D‑Zuges 39 die Gemüter dahier seit vielen Wochen in Aufregung erhielt, mag es nicht uninteressant sein, darauf hinzuweisen, daß in dem Augenblick, als die Hülle des Standbildes am Berolzheimerianum gefallen war und alles den Worten des Prinzen Ludwig lauschte, dieser vielumstrittene D‑Zug 39 mit großer Vehemenz vorüber sauste, was zu Bemerkungen aller Art Veranlassung gab.
#2
Wie hieß es anno dazumals: Alter Wein in neuen Schläuchen...
#3
Schwarzer Peter
Von Seiten der Redaktion der Fürther Nachrichten (die ich per Leserbrief auf meinen Blogeintrag hingewiesen hatte) erhielt ich gestern eine ausführliche Antwort, deren Quintessenz darauf abzielte, daß es »ein Akt unfreiwilliger Komik wäre, wenn eine Tageszeitung jeder Information aus den berufenen Mündern der Museums-Kuratorinnen nochmals hinterher recherchieren würde«. Soll heißen, das von mir beschriebene Märchen wurde der Pressevertreterin von den Kurateusen des Jüdischen Museums aufgetischt bzw. in die Feder diktiert. Gut, das wird wohl so gewesen sein. Nun bin ich kein Journalist, hätte auch nicht unbedingt das Zeug dazu, aber die Frage des journalistischen Selbtverständnisses interessiert mich schon: Wo verläuft für eine(n) professionelle(n) Reporter(in) die Grenze zwischen der Notwendigkeit eigener Recherchen und der ungeprüften (wenngleich zweifellos praktischen) Übernahme von auf Presseterminen überreichten Info-Häppchen?
#4
Manche machen es sich halt einfach, jedenfalls liegen die einschlägigen Bücher in der Redaktion herum (ungenutzt?)
#5