Fast jeden Werktag ‑ich weiß schon gar nicht mehr, seit wann- kommt mir morgens auf dem Weg zum Bahnhof ein freundlicher Herr entgegen: Er hat wohl noch ein paar Haare weniger auf dem Kopf als ich selbst und erinnert mich ein bißchen an eine verkleinerte Ausführung des Schauspielers Rolf Hoppe. Der flott ausschreitende Fußgänger schaut meist erfreut in den beginnenden Tag, und er hält stets und ohne Ausnahme den Kopf schief: Immer neigt er das Haupt zur rechten Seite und drückt sich mit der Hand etwas dagegen.
Anfangs dachte ich, der Arme habe Zahnschmerzen und müsse seine Backe kühlen. Bald aber bemerkte ich den wirklichen Grund: Der Mann telefoniert ohne Unterlaß! Ob ich ihm schon am Stellwerk begegne oder erst am Bahnhof, kein einziges Mal von inzwischen mehreren Dutzend zufälligen Begegnungen ist er mit sich und der Welt allein gewesen...
Da unsere Wege entgegengesetzt verlaufen und es mir zudem nicht zustünde, anderer Leute Konversation zu belauschen, erhasche ich nur zufällige Wortfetzen seiner Fern-Gespräche. Gleichwohl rätsele ich natürlich, was da wohl für eine Geschichte dahinterstehen mag: Eine von Panik heimgesuchte Mutter, die den längst erwachsenen Filius nur ungern in die Welt hinaus entläßt und nun unentwegt beruhigt werden muß? Oder ist der Mann womöglich ein vielbeschäftigter Manager (von was auch immer), der keine Minute seiner wachen Lebenszeit zu verschenken hat? Ein Psychiater, der seine Klienten beruhigt? Ein Meister, der Kontakt zu seinen Adepten hält? Ein emsiger Tester von geheimen Mobiltelefon-Prototypen? Ein Film-Mogul, ein Investment-Banker? Und gäbe es solche überhaupt in Fürth, von der Südstadt ganz zu schweigen?
Im Grunde will ich es freilich gar nicht wissen: Die Realität ist doch meist banaler als die Phantasie es sich auszudenken vermag. Ich wünsche dem geheimnisvollen Gentleman jedenfalls von Herzen einen immer hinreichend vollgeladenen Akku!
Vielleicht redet er einfach gerne mit sich selbst und hat festgestellt, dass er nicht mehr schief angesehen wird, seit er sich dabei das ausgemusterte Handy seines Schwagers an den Kopf hält.
#1
Schief angesehen wird er vielleicht nicht mehr...
...aber dafür sieht er jetzt schief aus! ;-)
#2
Aufgerüstet
Heute kam er mir doch tatsächlich entgegen, ohne sich das Sprechkästlein ans Ohr zu pressen! Wunderte mich schon über den ungewöhnlichen Auftritt, aber aus der Nähe betrachtet war die Erklärung banal: Der Herr hat neuerdings einen Knopf im Ohr und quasselt per (drahtgebundener) Freisprech-Anlage...
#3