Der zonebattler ist seit jeher ein Liebhaber von Dokumentarfilmen, zumal von jenen, die auf spannende Weise Erhellendes über die Beschaffenheit und den Zustand unserer Welt vermitteln. Und manchmal hat es geradezu Offenbarungs-Charakter, einfach nur normalen Menschen beim Erzählen zuzuhören. Nichts anderes macht und bietet »Gernstl in den Alpen«.
Franz Xaver Gernstl verdient seinen Lebensunterhalt nach eigenem Bekunden mit dem Verplempern von Zeit [1]: Für das Bayerische Fernsehen fährt er mit seinem Kamera-Kumpel und seinem Mikrophon-Mann in einem VW-Bus mehr oder weniger ziellos durch die Gegend und läßt sich treiben... Wo immer er auf Menschen stößt, die interessant erscheinen oder denen ein Ruf vorauseilt, da sucht er das Gespräch, und zwar auf äußerst unprätentiöse Weise.
Und während die Kerners und Beckmanns dieser Fernseh-Republik ihre Talkshow-Gäste zuschwallen und deren Antworten just da abwürgen, wo sie interessant zu werden beginnen (womit diese Selbstdarsteller letztlich sowohl die Gäste als auch ihr Publikum verhöhnen), läßt Gernstl die Menschen fast ausschließlich selber sprechen und hält dabei auch längste Pausen aus. Immer bei laufender Kamera, stets in Großaufnahme. Das ist erstaunlicherweise weder peinlich noch langweilig, und mit der Zeit wird offenbar, daß Zufriedenheit und Lebensglück weder Reichtum noch wohlfeile Statussymbole erfordern, sondern nur eine Aufgabe, eine Passion, eine Berufung. Die, und das ist vielleicht die hoffnungsfroh stimmende Quintessenz, letztlich ein(e) jede(r) irgendwo und irgendwie finden kann!
Siebeneinhalb kurzweilige Fernsehstunden verbringt Gernstl in den Alpen eben dort und läßt uns vom Tegernsee über Tirol und das Engadin bis hin nach Südtirol, Kärnten und die Steiermark hautnah teilhaben an seinen Begegnungen mit höchst individuellen Menschen, die ihr ganz persönliches Stückchen Glück im Leben gefunden haben. Es fällt den um Worte gemeinhin selten verlegenen zonebattler schwer, die Magie dieser vollständig »spannungslosen« Filme adäquat zu beschreiben. Daher nur soviel: Die drei DVDs haben den Autor dieser Zeilen berührt wie schon lange keine Fernseh-Produktion mehr [2].
Auch äußerlich kann die Gernstl-Edition mit einem schön gestalteten und informativen Booklet, einer soliden Kunststoff-Box und einem attraktiven Papp-Schuber rundum überzeugen. Als unbedingt verbesserungswürdig erscheinen mir allerdings die Haltezapfen der Plastik-Box: Die halten die DVDs nämlich auch beim Niederdrücken dermaßen fest, daß man die empfindlichen Scheiben ohne weiteres Werkzeug nur unter bedenklichem Durchbiegen herausoperieren kann. Da sollte schleunigst nachgebessert werden! Von diesem mechanischen Malus abgesehen, kann man dem engagierten Herausgeber EuroVideo nur gratulieren und auf baldige Fortsetzungen hoffen...
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So unspektakulär und gleichwohl tief befriedigend kann Fernsehen sein: Wer sich diese »Drei Scheiben vom Glück« im Laden kaufen oder bei amazon.de bestellen sollte, wird es bestimmt nicht bereuen!
[1] Das Interview findet sich auf der Homepage zum Kinofilm »Gernstls Reisen«, der eine chronologisch sortierte Auswahl aus über 20 Jahren Gernstl’schen Dahinfahrens zeigt. Gleichfalls sehr empfehlenswert !
[2] Der hingerissene Rezensent hätte das Fehlen von Extras in diesem Fall tatsächlich nicht einmal bemängelt. Um so mehr freut er sich daher über ein sehr humorvolles Gernstl-Interview, diverse Outtakes und den Kinofilm-Trailer: Toll!
Am Rande des Pazifiks...
...habe ich jemanden aufgestöbert, der das Geheimnis der Gernstl-Filme sehr schön auf den Punkt gebracht hat.
#1
»Gernstl unterwegs«- zurecht Grimmepreis-prämiert und seit Jahren nie langweilig.Ich bin langjähriger und bekennender Fan. Als echter Doku-Junkie kann ich behaupten, daß niemand seinen Interviewpartnern so schnell so nah kommt als Gernstl und sein Team. Daß es für Kino gereicht hat, freut mich sehr. Legendär: die Bodenseereise. Gernstl at its best.
#2
Auch wenn es für viele nicht nachvollziehbar sein mag: Deinen Beitrag zu den Gernstl-Filmen verstehe ich gut. Dem seine Filme sehe ich mir auch gerne an. Die ruhige unhektische Atmosphäre in den Filmen hat etwas ausgesprochen Meditatives wie ein innerliches Reinigungsritual, eine Entspannungsübung, das in sich versunkene Lesen eines Buches, das abgetauchte Musikhören, für andere einen Kirchgang oder so ähnlich.
Die Glaubwürdigkeit der Filme entsteht durch die unaufgeregte Erzähltechnik, die ruhigen Gespräche, gleichsame Kameraführung, die Suche nach skurrilen, aber einfachen Menschen und Begebenheiten. Dies steht in krassem Widerspruch zu den sonstigen Medien, die auch die gähnend langweiligsten Begebenheiten aufreizend und überzogen darstellen. Beim Gernstl sind es die menschlichen »Kauze« die interessieren mit ihrem immer eigenen Universum (das vielleicht jedermann um sich aufgebaut hat, auch wenns keiner weiss und niemand normalerweise da jemanden reinläßt ?) und Lebensumfeld.
Was auffällt ist oft die tiefe Zufriedenheit der »Besuchten«, auch wenn nach objektiven, allgemeingültigen Vorstellungen jeder denkt, was für eine arme Sau der Gernstl da wieder besucht hat. Fazit: Tibetanische Ruhe und Ergebenheit gibt es spirituell zwar verborgen, aber immerhin, auch in Mittel- und Südeuropa und vielleicht auch darüber hinaus... Für andere Zeitgenossen sind diese Filme sicher nur abgrundtief langweilig.
Eine ähnliche Größe, aber andere Kategorie bilden die ebenfalls bei amazon erhältlichen DVDs der CATWEAZLE-Filme aus den 60er bzw. 70er Jahren. Auch hier: Kaum Handlung, dafür subtile Spannung, immer urkomisch und skurril. Die erste Staffel habe ich käuflich erworben und finde sie, wie in meiner Kindheit, ausgesprochen kurzweilig.
So, weil Du Dir immer so viel Mühe gibst musste das mal raus, auch bei meinem Zeitdruck!
#3
Nachdem ich bei der Kaltmamsell und hier soviel Gutes darüber gelesen habe, steht die DVD jetzt auf meiner Einkaufsliste. Gibt es darauf eigentlich auch Untertitel in Hochdeutsch?
#4
Nö...
...aber das Mitlesen von solchen würde die kontemplative Meditation (resp. die meditative Kontemplation) nur stören! ;-)
#5
Heute kam er mir ganz unvermittelt entgegen, im Nürnberger Hauptbahnhof, mit einem Rollköfferchen im Schlepptau. Etwas schmal sah er aus, aber doch unverkennbar ganz der Gernstl. Unterwegs per Bahn statt per Bus: Ob das eine neue Serien-Staffel gibt? Zunächst einmal ist er jedoch im großen Drogeriemarkt verschwunden...
#6